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Im Dutzend phantastischer

Im Dutzend phantastischer

Titel: Im Dutzend phantastischer
Autoren: Nicole Rensmann
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dem Fingernagel des rechten Zeigefingers kratzte er an dem Weisheitszahn unten rechts.  
    Tatsächlich. Ein Fleck.
    Auf seinem Zahn!
    Peter wiederholte seine morgendliche Mundhygiene – erfolglos. In einer halben Stunde stand ihm ein Frühstück mit einem wichtigen Klienten bevor. So konnte er dort unmöglich erscheinen. Aber es blieb ihm keine Zeit. Während er zur Haustür eilte, wählte er über den Bizeps-Caller die Nummer seines Zahnarztes und vereinbarte noch für den gleichen Tag einen Termin. Die Arzthelferin, die – neben dem Arzt – als einzige menschliche Kraft den persönlichen Kontakt mit den Patienten pflegte, bat Peter, am späten Nachmittag vorbeizukommen; sie könne aber nichts versprechen.
    Peter kappte die Verbindung mit einem gedanklichen Befehl.
    Der Bizeps-Caller konnte sowohl per Gedanken, als auch manuell bedient werden. Noch befand sich das Gerät, das wahlweise als Metallreifen um den Bizeps gelegt oder unter die Haut implantiert werden konnte, in der Testphase. Als Erfinder dieser Weltneuheit unterzog Peter den Caller zurzeit einer intensiven Prüfung. Bisher gab es nur wenige Schwachstellen, die sich rasch beheben ließen. Das anstehende Frühstück sollte ihm die Serienproduktion des Geräts und eine weltweite Verbreitung garantieren.
    Er rückte seine dunkelblaue Seidenkrawatte zurecht und betrat das Hotel, in dem er seine Verabredung traf. Aus einiger Entfernung erkannte er Madame Teytusso, in Begleitung von drei Männern. Zügig ging er auf die wartende Gruppe zu. Madame Teytusso drehte sich in seine Richtung. Sie hob die Hand und winkte, ihr Antlitz wirkte emotionslos und aus der Entfernung wie das einer Dreißigjährigen. Dabei gehörte Madame zu den Damen Anfang siebzig. Die moderne Facechirurgie brachte Wunder, nahezu Kunstwerke hervor. Erst bei näherem Betrachten erkannte jeder, dass es sich nicht um das Gesicht handelte, das die Natur Madame Teytusso geschenkt hatte. Tatsächlich musste es einer jungen Frau gehört haben, die ihr Leben durch einen Unfall verloren hatte. Diese Form der Hauterneuerung hatte die Schönheitschirurgie vor Jahren revolutioniert. Zahlreiche Gegner kritisierten, dass sich reiche Damen vorab ein Gesicht erkauften und junge hübsche Frauen viel zu oft unerwartet verunglückten.
    Ein weiterer Nachteil an diesem Anti-Face-Aging: Nicht jeder Muskel nahm seine Aufgabe hundertprozentig auf. Bei Madame Teytusso führte dies zu ihrem in Geschäftskreisen gefürchteten Pokerface.
    Peter Paprini begrüßte Madame Teytusso mit Handschlag, einer kleinen Verbeugung und einem breiten Lächeln. Sofort wurde er sich seines Zahnbelags bewusst und reduzierte das Lächeln auf ein Minimum. Er fühlte sich gehemmt – eine nie zuvor gekannte Emotion.
    Das Geschäftsfrühstück verlief nicht so positiv, wie Peter erhofft hatte. Seine Unsicherheit übertrug sich auf das Gespräch und die Vorführung des Bizeps-Callers. Es gelang ihm nicht, Madame Teytusso von dem Projekt zu überzeugen. Sie verlangte eine Bedenkzeit, die Peter nur ungern gewährte, da er die finanzielle Unterstützung der alten Dame dringend benötigte. Dennoch blieb er freundlich und zuvorkommend – ohne zu lächeln.
    Volle zwei Stunden musste er beim Zahnarzt warten, und als er endlich behandelt wurde, erklärte ihm Doktor Hensen, dass die Verfärbung ein natürlicher Prozess und durchaus nicht ungewöhnlich sei. Peter bestand darauf, dass der Schatten kaschiert wurde.
    Mit dem Gefühl des Neugeborenseins verließ er die Praxis. An der Mailsäule rief er sich ein Flugtaxi, das ihn nach Hause beförderte.
    Er tänzelte ins Bad und begutachtete das Werk des Doktors. Der Zahn blitzte weiß. Peter seufzte befreit. Morgen würde er einen neuen Termin mit Madame Teytusso vereinbaren und sie mit seinem Charme dazu bringen, den Vertrag zu unterzeichnen. Eine Weile betrachtete Peter seine für ihn so wichtigen Mundwerkzeuge, dann stutzte er. Sein Herz schlug zu schnell, sein Magen verkrampfte sich Der Weisheitszahn auf der anderen Seite wies ähnlich verfärbte Stellen auf. Den Rest des Tages und die halbe Nacht versuchte er Dr. Hensen zu konsultieren, vergeblich. Am nächsten Morgen sagte er alle Termine ab. Über Nacht hatte sich der am Tag zuvor überdeckte Belag durch den künstlichen Zahnlack gedrückt. Winzige, aneinandergereihte Punkte verunzierten seine unteren beiden Weisheitszähne; putzen schien alles nur noch schlimmer zu machen.
    Er kratzte mit dem Fingernagel daran, holte sich schließlich ein
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