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Im Dutzend phantastischer

Im Dutzend phantastischer

Titel: Im Dutzend phantastischer
Autoren: Nicole Rensmann
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Messer und einen Schraubenzieher zur Hilfe. Doch damit rieb er lediglich das Zahnfleisch blutig, die Flecken aber blieben.
    Doktor Hensen schliff zunächst die Zähne ab, überpinselte sie mit einer Lasur und behandelte abschließend das verletzte Zahnfleisch.
      »Was haben Sie sich denn dabei gedacht, Herr Paprini?«, fragte er, während Peter mit offenem Mund auf dem Behandlungsstuhl saß. »Diese Flecken werden vermutlich immer wieder kommen, ich kann sie abschleifen, überpinseln, aber irgendwann muss ich die Zähne ziehen, wenn es Sie so stört. – Bitte ausspülen!«
    Nachdem Peter feinen Staub und Blut ausgespuckt hatte, bat er: »Ziehen Sie die Zähne – wenn es sein muss, sofort. Ich kann mit solchen Makeln nicht agieren.«
    »Beim nächsten Mal, Herr Paprini, beim nächsten Mal.« Damit verabschiedete sich der Arzt und verließ den Raum.
    Mit dem Papierschutz tupfte sich Peter erst den Mund ab, dann den Schweiß von der Stirn. Kurz bevor er zum Ausgang ging, schnappte er Wortfetzen des Gesprächs zwischen Dr. Hensen und seiner Arzthelferin auf.
    »Ich glaube, er weiß es nicht«, sagte Dr. Hensen leise.
    »Aber das muss ihm doch jemand gesagt haben«, meinte die Arzthelferin, deren Namen Peter noch nie erfragt hatte.
    »Das ist nicht meine Aufgabe. Ich sorge nur dafür, dass ein Teil von ihnen reizvoll bleibt. Wenn es vorbei ist, ist es vorbei, aber von mir erfährt es Paprini nicht.«
    Peters Herz setzte einen Schlag aus.
    Sie sprachen von ihm? Er wollte nicht mehr mit anhören und stürzte aus der Praxis. Seine innere Balance pendelte wie ein aus dem Gleichgewicht geratenes, antikes Uhrwerk. Peter musste den Kopf freibekommen und wählte den Weg durch die unterirdisch angelegten Parkanlagen. Das Taxi wäre ihm zu schnell gewesen, außerdem hätte er herumfliegende Leichenteile nicht ausgehalten. Auf der Oberfläche war es Fußgängern verboten, sich fortzubewegen, aber täglich setzten sich Wahnsinnige dem Verkehr aus – Wahnsinnige oder Selbstmörder. Davon gab es genug in dieser Zeit.
    Peter bemerkte, wie sich eine tiefe Falte zwischen seine Augen zog. Sofort entspannte er seine Gesichtsmuskeln und strich mit Zeige– und Mittelfinger über die Stirn. Erfolgreich. Eine Falte konnte er nun nicht auch noch gebrauchen. Mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf schritt er über die schmalen, mit Plastersteinen ausgelegten Wege, die mit Lampen im Stil des 19. Jahrhunderts gesäumt waren. Spärliche bepflanzte Gärten, eingezäunt mit verschnörkelten Metallzäunen, boten einen lieblichen Anblick. Peter ging schneller und ließ diesen Abschnitt rasch hinter sich, er durchquerte einen verwilderten Wald. Der Boden bestand aus weichem Moos, reich belaubte Äste streichelten ihn beim Vorbeigehen. Eine Schlange kreuzte seinen Weg und wand sich zischelnd an seinen Füßen vorbei. Wenige Schritte weiter betrat er asphaltierten Boden, links und rechts von ihm erstreckten sich Sandflächen, auf denen Spielgerüste standen, nur wenige Kinder kletterten darin herum. Die Unterlandschaft war traditionellen Epochen aus verschiedenen Ländern nachempfunden. Keine originelle Idee, sondern durch einen Streit zwischen den Architekten entstanden. Zu einer Einigung war es nie gekommen, und so hatte jeder sein Parkgelände nach eigenem Ermessen erbaut. Ein einzigartiges Tunnelerholungsgebiet war entstanden, das viele Touristen anlockte. Doch Peter ließ sich jetzt von den leicht quietschenden und altertümlichen Roboterfahrzeugen aus den Jahren 2008 bis 2012 nach oben kutschieren und verschmähte den Dschungel, der als Nächstes hätte bezwungen werden müssen.
    Die Luft flimmerte in der Hitze des Spätsommers, Sauerstoff und Ozon hatten sich zu einem schweren Gas vermischt. Das Atmen fiel Peter schwer, als er sich vor seine Haustür stellte, von der elektronischen Security mittels Headscan erkannt wurde und Einlass in sein Heim erhielt.
    Erschöpfung legte sich über seinen Körper und er wünschte sich ins Bett, doch zuerst wollte er einen Blick in den Spiegel werfen. Als er das Bad betrat, schaltete sich das Licht automatisch ein. Er lächelte seinem Spiegelbild gequält zu.
    Wovon hatte Dr. Hensen nur gesprochen?
    Peter öffnete zaghaft den Mund und starrte in seine Mundhöhle. Er konnte den Blick nicht abwenden, sein Kiefer knackte. Wie paralysiert schaute Peter auf seine unteren beiden Weisheitszähne – hin und her, hin und her wanderten seine Augäpfel. Er ging nah an den Spiegel heran, Stirn und Lippen prallten
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