Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Dutzend phantastischer

Im Dutzend phantastischer

Titel: Im Dutzend phantastischer
Autoren: Nicole Rensmann
Vom Netzwerk:
Samen wurden die gewünschten Veranlagungen beigemischt: Kraft, Intelligenz, Perfektion, Schönheit genauso wie negative Eigenschaften.
    Geld regierte die Welt, wer ausreichend davon besaß, brauchte sich um nichts zu sorgen, schon gar nicht um sein Äußeres. Viele ließen auf diese Weise ihr persönliches Ersatzteillager züchten. Und so erhielt jeder ein genetisches Ablaufdatum, das in seltenen Fällen sichtbar wurde. Die übertriebene Zahnbehandlung hatte es in Peters Fall freigelegt. Bei einigen der Probanden wurde das genetische Datum auf Herzmuskeln oder Lungenflügeln entdeckt. Sie hatten keine Chance, dem vorbestimmten Datum zu entkommen, ihre Körper wurden vollständig – auf Bestellung – weiter verwendet.  
    Peter interessierte es nicht, wer ihn hatte züchten lassen, er verfolgte einzig den Wunsch, diesen Abonnenten in den faltigen Hintern zu treten.
    Er verließ die Wohnung, ohne sich die Zähne zu putzen. Welchen Zweck hatte das noch? Er wählte nicht den unterirdischen Weg, wie vorgeschrieben, sondern schritt über die Erdoberfläche. Die Luft war dick und stank. Hupende Bodenvehikel wichen ihm aus, die Taxiflieger zogen hektisch nach oben, sobald er in Sichtweite kam. Warum überfuhren sie ihn nicht? Über eine Stunde – so lange wie nie zuvor in seinem Leben – atmete er die verseuchte Luft ein. Bis auf ein Brennen in den Lungen fühlte er sich lebendig. Dann hörte er den Alarm. Die Security. Gleich würden sie ihn ergreifen und nach Hause schleppen. Er wandte sich um und erschrak. Nur wenige Meter von ihm entfernt lag ein abgetrennter Kopf. Suchend sah sich Peter nach dem dazugehörigen Körper um. Drei Security-Robots luden ihn in diesem Augenblick ein, dann kamen sie auf Peter zu. Während einer der Dreien den Kopf in eine Tüte packte, stellten sich die anderen Beiden vor ihn und sagten im Duett: »Herr Paprini, gehen sie nach Hause. Ihre Zeit ist noch längst nicht reif.«
    Ohne zu zögern, folgte er. Fragen hätte keinen Zweck gehabt, die Robots gaben nie Antworten. Es wunderte Peter jedoch, dass sie ihn persönlich angesprochen hatten. Jeder wusste es also. Sie wussten es! Nur ihm hatte nie irgendjemand etwas gesagt. Aber wer hätte das auch sein sollen? Die Zieheltern – Roboter aus biegsamem Metall, damit sich die Kinder an sie kuscheln konnten? Selbst der Drink-O-Mat hatte mehr Wärme besessen, der spuckte wenigstens warme Getränke aus. Früher zumindest. Aber sein Opa war ein richtiger Mensch gewesen. Er hätte ihm doch etwas sagen können.
    Als Peter seine Wohnung betrat, ahnte er, dass etwas in oder an seinem Körper wichtig sein musste, nur darum durfte er jetzt noch nicht sterben. Eine andere Erklärung gab es nicht.
     
    Die nächsten Wochen und Monate verbrachte Peter in Kliniken. Er verabschiedete sich von seinem   Äußeren. Nun verunzierten Narben seinen einst so perfekten Teint, seine Zähne waren nun gelb und unregelmäßig. Den athletischen Körper unterstützte er weder mit Tabletten, noch trainierte er manuell für die Figur. Stattdessen ließ er sich Fett unter die Haut spritzen. Er verseuchte seinen Organismus mit allem, was es auf dem illegalen Markt zu kaufen gab, bis ein großer Teil seiner finanziellen Rücklagen aufgebraucht waren.
    Am 22.02.2021 lag er auf seinem Bett und wartete. Sein Körper glich dem eines kranken, alten Mannes. Das Gesicht pausbackig und mit Narben überzogen. Nichts erinnerte an den einst smart aussehenden Peter Paprini.
    Draußen schneite es.
    Der Tag verstrich, die Nacht brach an. Als die Ziffern auf 23 Uhr 59 klickten, verabschiedete sich Peter in Gedanken von der Welt und freute sich, dass niemand seinen Körper weiterverwenden wollte. Er grinste – sein gelbschimmerndes Lächeln wies Zahnlücken auf – und schlief ein.
    Am 23.02.2021 um 7 Uhr 35 erwachte Peter, ausgeruht aber zutiefst beunruhigt. Was war geschehen? Er lebte noch, oder war das der Himmel? Die Hölle? Es musste die Hölle sein, wenn er in diesem heruntergekommen Zustand weiter leben sollte.
    Die Zahlen in seinem Mund waren das Datum seines Todes. Gestern. Das wusste er genau. Alles deutete darauf hin, niemand hatte ihm in all der Zeit widersprochen. Aber es hatte ihm auch niemand zugestimmt.
    Peter quälte sich aus dem Bett. Obwohl er sein Äußeres und Inneres sträflich behandelt hatte, hatte er stets Wert auf saubere Kleidung und tägliches Duschen gelegt. Seine penetrante Reinlichkeit hatte er nicht ablegen können.
    Im Bad stach ihm das Datum ins Auge. Müde
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher