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Im Dutzend phantastischer

Im Dutzend phantastischer

Titel: Im Dutzend phantastischer
Autoren: Nicole Rensmann
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Erlebnisses eine Basis zu geben?
    Die Angst, mich schlafen zu legen, machte mich unruhig. Doch vielleicht ist morgen alles wieder beim Alten, vielleicht ist morgen ein neuer Tag. Ich hoffe es inständig.
     
    Mittwoch, 25. Juli
    Heute fand ich zwei Flaschen mit einer trüben Flüssigkeit vor meiner Tür. Ich kann mich jedoch nicht an dem Namen des Getränks erinnern, auch nicht an den Geschmack, aber es ist durchaus wohlschmeckend... so glaube ich. Ich schreibe noch... ja, doch erinnere ich mich heute nicht mehr, womit. Die Falten auf meinem Antlitz sind tiefer geworden, meine Augen eingefallen. Ich kann mich nicht daran erinnern, ein so langes Leben besessen zu haben. Das wenig Erlebte passt nicht zu meinem Äußeren. Was aber passt dazu? Was zu mir? Wer zu mir? Wer bin ich? Was? Ich weiß es nicht mehr!
    All meine Erinnerungen legen sich mit dem Schlaf nieder, doch wachen sie am Morgen nicht auf, wie mein Körper, der sich von Nacht zu Nacht verändert. Wie lange schon? Habe ich die Vorzeichen übersehen? Bin ich nun nicht mehr in der Lage, dem Gegebenen eine Wendung beizufügen? Seit drei Nächten bin ich nicht mehr ich, der ich sein wollte oder müsste oder glaubte zu sein. Seit drei Nächten verändere ich mich und weiß nicht, wie lange noch. Der äußerliche Alterungsprozess scheint zu schnell vonstattenzugehen, und der innere Verfall zieht dem gleich. Warum? Ich bin verwirrt, gar verängstigt, doch seltsamerweise nicht besorgt. Soll dies eine – meine – Bestimmung sein?
    Ich bin müde, lege mich nieder und hoffe auch in dieser Nacht auf eine Besserung meines Zustandes.
     
    ------
     
    Ich erinnere mich nicht mehr, welcher Tag auf den gestrigen folgt, welches Datum sich dem letzten anreiht. Ich erinnere mich nicht daran, die letzten Zeilen geschrieben zu haben, und auch nicht daran, was ich bin. Ich schaue in etwas, dessen Bezeichnung ich nicht mehr weiß, und sehe etwas: Es ist alt, zerfurcht, grau und abgenutzt. Kaum des Lebens fähig. Ich bin allein.
    Lege ich mich diesmal nieder, so weiß ich, wird jegliche Erinnerung an Weltliches nur der Tod sein können.

Wilhelm
    (2008)
     
    Als ich am Morgen erwachte, fühlte sich meine Schleimhaut so trocken und pelzig an, wie nach einem Saufgelage. Doch ich war mir sicher, gestern Abend nüchtern geblieben zu sein. Das erste Mal seit Kriegsende. Die Zeit davor hatte ich nur mit viel Alkohol durchgestanden. Wir hatten Menschen getötet – Kinder, Frauen, Familien zerstört.
    Wir.
    Ich.
    Ich hatte versucht, die Bilder des Krieges mit Hochprozentigem zu ertränken und meine Taten zu verdrängen. Doch keine Drogen dieser Welt waren dazu in der Lage. Der Krieg hatte mein Leben gezeichnet. Nur der Tod würde die Stimmen und Schreie in meinem Kopf verstummen und die Bilder verschwinden lassen.
    Christines Gesicht schob sich vor meine Gräueltaten. Sie war mir bei der Parade aufgefallen.
    Gerne hätte ich jetzt den Arm nach ihr ausgestreckt und ihre zarte Haut gestreichelt. Doch ich hatte sie in den frühen Morgenstunden verlassen und – was viel beunruhigender war – ich konnte meine Arme nicht bewegen. Ich hörte keine Straßengeräusche und das vertraute Ticken meiner Armbanduhr fehlte. Es war totenstill. Außer meiner eigenen Stimme in meinem Kopf vernahm ich nichts.
    Ich wollte meine Augen öffnen. Es blieb dunkel. Sonnenstrahlen müssten die Vorhänge durchbrechen. Was war los? Ich spürte Panik, wollte aufstehen, das Licht anschalten, nach Hilfe rufen. Nichts geschah. Weder Puls noch Herz reagierten darauf.
    Du bist tot, mein Lieber, finde dich damit ab.
    Was? Tot? Ich war 33 Jahre und genoss die Freiheit. Frauen vergötterten Männer in Uniform. Ich hatte den Krieg überlebt.
    Außerdem dachte ich über meinen Zustand nach, der – wenn ich tot wäre –, gar keiner sein dürfte. Nein, tot war ich sicher nicht. Tod gab Erlösung.
    Das denken sie alle.
    Klar, alle die schon tot waren und anschließend mit mir darüber gesprochen haben. Krampfhaft überlegte ich, ob ich doch gestern betrunken gewesen war oder ob ich Drogen eingeworfen hatte. Ich blieb dabei: Ich war nüchtern ins Bett gegangen.
    Wann war gestern bei dir?
    Lass mal nachdenken, Mittwochabend war die Parade, ich bin ziemlich schnell mit Christine ins Gespräch gekommen und müsste am Donnerstag gegen vier in der Kaserne gewesen sein.
    Und welches Datum hatten wir?
    Die Stimme in meinem Kopf schien gelangweilt, was mich wiederum belustigte. Schließlich sprach ich mit mir selbst und darum gab ich
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