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Im Dutzend phantastischer

Im Dutzend phantastischer

Titel: Im Dutzend phantastischer
Autoren: Nicole Rensmann
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Stirn. Mit dem Handrücken wischte er sich darüber und beugte sich zu der Delle hinunter. Zahlen schimmerten unter der Farbe hervor. Eine 0 und eine 8 erkannte er. Und den Teil einer weiteren Zahl, teilweise verborgen hinter der oberen Schicht. Mühselig richtete sich Peter auf und zog aus einer Schublade ein Messer hervor, mit dem er   am Metall kratzend und schabend die Ziffern auf dem Drink-O-Mat freilegte:
    15/08/2020
    Irritiert stierte er auf das Datum. 15/08/2020, das war heute.
    »Soll das heißen,« sprach er zu dem Automaten, »das ist dein Todesdatum? Aus, Ende, Feierabend? Jetzt darf ich dich verschrotten lassen? Am 15.08.2020 verstarb mein alles geliebter Drink-O-Mat? Er war mir stets ein treuer Diener?« Peter warf den Kopf in den Nacken und lachte hysterisch. Kichernd wie ein Kind – oder ein Wahnsinniger –, legte er sein Kinn auf die Brust, rieb sich Tränen aus den Augen, das Messer hielt er dabei fest in der Hand. Er gluckste, dann erstarb jegliches Geräusch aus seiner Kehle. Langsam nahm er die Hand herunter und hob den Kopf. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er ins Leere. Sein Adamsapfel hüpfte nervös auf und ab, als er mehrfach schluckte.
    Als stünde der Boden unter ihm in Flammen, sprang er auf, stürzte aus der Küche ins Bad und vor den Spiegel. Er öffnete den Mund mit solch einem Ruck, dass der rechte Mundwinkel einriss. Peter ignorierte den Schmerz und versuchte zu erkennen, ob sich die dunklen Punkte auf seinen Weisheitszähnen verändert hatten. Er stöhnte gequält auf, als er erkannte, dass sich die Flecken nicht nur vermehrt hatten, sondern nun auch eine Kontur besaßen.
    Verwirrt blickte sich Peter um, irgendwo in einer Schublade in dem Apothekerschrank musste eine antiquierte Lupe liegen. Mit zu viel Schwung zog er die Laden nacheinander auf, zwei davon flogen aus den Schienen und landeten samt Inhalt auf dem Boden. Peter durchsuchte alles. Ohne Ergebnis. Er ließ sich auf den Boden sinken, zog die Beine an und atmete so laut, als litt er an Asthma. Dann erinnerte er sich. Er hatte die Lupe erst kürzlich verwendet – in seinem Schlafzimmer, wo er seine Pediküre vollzog. Um eine winzige Ecke seines Zehennagels abschneiden zu können, hatte er das Vergrößerungsglas benötigt. Er stürmte ins Schlafzimmer und schrie triumphierend auf, als er die Lupe auf dem Nachttisch entdeckte.
    Im Badezimmer steckte er sich das runde Glas so tief in den Mund, dass er sich beinahe den Kiefer ausrenkte, aber das erschien ihm das kleinere Übel, nachdem er hinter der Verfärbung auf seinen Zähnen ein Schema zu erkennen glaubte. An manchen Stellen waren die Punktierungen noch nicht vollständig zu sehen, doch Peter ahnte, was in wenigen Stunden vollständig sichtbar sein würde.
    Auf beiden Zähnen standen vier Zahlen, die spiegelverkehrt entschlüsselt folgendes ergaben:
     

     
    Das Ablaufdatum des Drink-O-Mats ging ihm nicht mehr aus dem Kopf: 15/08/2020
    Er selbst hatte nur noch sechs Monate zu leben. Das hatte Dr. Hensen also gemeint, als er sagte, wenn es vorbei sei, dann sei es vorbei.
    Bei Peter sollte es also schon bald vorbei sein. Er dachte an Madame Teytusso und ihr Gesicht, an Gerüchte über die Schönheitschirurgie. Er ahnte, dass er zu denjenigen gehörte, deren Mimik weiter leben würde, auf der hässlichen Fratze eines alten, reichen Bastards. Wütend knallte er die Lupe gegen den Spiegel, ein riesiges Spinnennetz breitete sich darauf aus und warf sein Gesicht in verzerrten Facetten zurück. Er wandte den Blick ab und dachte nach. Es blieb ihm nicht viel Zeit, darum nahm er sich einen Lippenstift, den seine letzte Freundin Marie hier vergessen hatte und schrieb in großen Buchstaben sein Todesdatum auf den zerbrochenen Spiegel. Täglich sollte es ihn daran erinnern. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, dagegen anzukämpfen. Seine Zunge steckte zwischen seinen leicht geöffneten Lippen und seine Augen glänzten, teils vor Tränen, teils vor Fieber, das in ihm aufflackerte – auf der Suche nach der Wahrheit und einem Ausweg.
    Tagelang recherchierte er im I-Net und erreichte weltweite Aufzeichnungen – Bibliotheken, wie es sie einst gegeben haben sollte, existierten nicht mehr. Er entdeckte nichts, das ihn vom Gegenteil überzeugte. Er stieß auf verschiedene Spekulationen über den Schönheitswahn. Und Informationen über das genetische Ablaufdatum fand er wiederholt. Nichts sollte dem Zufall überlassen werden. Während der künstlichen Zusammenführung von Ei und
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