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Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York

Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York

Titel: Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
Autoren: Barbara Honigmann
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Das überirdische Licht
    Hier ortet man sich nach den Himmelsrichtungen und ruft sich seine Position zu wie auf hoher See. Länge Breite Nord Süd Ost West, und am Ende aller Streets und Avenues tauchen Himmel und Wolken auf und Meer und Schiffe und Kräne und Hafen. Ein siebzehnstöckiges Hochhaus schiebt sich den Hudson runter. Ach ja, es stand doch in der New York Times, daß die Queen Mary 2 heute zum ersten Mal nach Southampton ablegt.
    Das überirdische Licht! Im November strahlt der Himmel azurblau und viel heller als in irgendeiner Provence. Klarer und durchsichtiger, weil kein Hitzedunst die Konturen erweicht. Licht und Schatten sind scharf voneinander geschnitten, die tiefen Schattenschluchten der Streets und Avenues werfen sich kerzengerade in ihre vorgegebenen Richtungen, und »die Gestade des Himmels dahinter/zergehen in Wind und Licht«. Noch nie in meinem Leben habe ich so gleißendes Licht gesehen, es muß mit dem südlichen Breitengrad und der ozeanischen Lage oder sonst- welchen physiko-geographischen Bedingungen der Stadt zusammenhängen. Von so überirdischer Helle stelle ich mir das »verborgene Licht«, das ursprüngliche, das »Licht des ersten Tages« vor, von dem die Legende erzählt, es habe von einem Ende der materiellen Welt bis zum anderen Ende der geistigen Welt geleuchtet. Dann hat esGott für die Gerechten in der kommenden Welt beiseite geschafft, denn soviel Klarheit konnte natürlich kein Mensch aushalten.
    Vielleicht verdankt sich das überirdische Licht auch einfach nur dem Wind, der zu dieser Jahreszeit hier immer pfeift und tobt und Himmel und Luft zu solcher Klarheit und Durchsichtigkeit ausfegt. Manhattan ist ihm wie ein Schiff auf hoher See ausgeliefert. Wunderbarerweise biegen sich die Häuser nicht, aber Möwen und Blätter taumeln durch die Luft, die unwahrscheinlichsten Dinge wirbeln über Straßen und Gehsteige, heben ab und fangen an zu fliegen, und als ich den Dollarschein für die New York Times schon ein paar Schritte vor dem Kiosk aus dem Portemonnaie hole, saugt und zieht es mir gleich die ganzen Scheine daraus hervor, sie wirbeln davon, ich hopse und hasche und schnappe nach ihnen wie in einer dummen Slapsticknummer, und mindestens ein Dutzend Leute, die gerade da gehen oder stehen, stürzen den fliegenden Dollarscheinen mit hinterher, fangen sie ein wie Schmetterlinge und bringen sie mir zurück, und jeder macht noch eine Bemerkung über Wind und Wetter oder gibt mir einen guten Rat, be carefull next time!
    Auch in meinem Apartment rüttelt und schüttelt es die Fenster in ihren Fassungen, dazu pfeift und singt es noch, weil die Fenster so tief in die Wand zurückgesetzt sind, daß der Wind sich in einem Resonanzraum wie für ein Symphonieorchesteroder eine Opernaufführung austoben kann. Manchmal klingt es, als hielte eine Meute heulender Hunde und Katzen die Räume Tag und Nacht besetzt. Der liebe Deutsche Literaturfonds und das Deutsche Haus, das zur New York University gehört, haben mir hier, mitten in Manhattan, eine Schriftstelleresidenz überlassen. Im siebenten Stock eines 30stöckigen Hochhauses darf ich zehn Wochen writer in residence sein, und man fragt mich noch nicht einmal, was ich hier, außer zu residieren, zehn Wochen lang sonst noch tun werde. Das heißt, ich bin frei und gefangen in New York, dieser Gedanke erregt und beglückt, aber beängstigt mich auch ein bißchen, denn die Stadt ist sehr groß, und ich bin ziemlich klein.
    Die Residenz besteht aus einem riesigen Zimmer mit einer ganzen Wand aus Fenstern, einem kleinen Schlafzimmer und allem, was sonst noch so dazu gehört. Durch die vielen Fenster, die im übrigen unglaublich dreckig sind, ist die Wohnung sehr hell, möbliert aber ist sie wie mit Möbeln aus der DDR, die, wenn ich mich richtig erinnere, Hellerau hießen und vor fünfzig Jahren als modern galten. Das Gebäude ist eines der drei Silver Towers , die in den 60er Jahren von dem berühmten Architekten Ioeh Ming Pei für die New York University erbaut worden sind, aber auch sie hätten in der DDR stehen können, finde ich. Allerdings haben sie den besonderen Charme, daß sie ganz einsam zwischen den sonst niedrigen Häusern aufragen, dennin dieser Gegend gibt es keine Wolkenkratzer und auch sonst keine Hochhäuser.
    Die Pei-Türme stehen genau im Schnittpunkt zwischen dem East- und dem West-Village, SoHo und der Gegend um den Washington Square, und beaufsichtigen sozusagen alle die kleinen Streets, die um sie herumquirlen und
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