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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland
Autoren: Oliver Uschmann
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Der schmale Grat
    Ich wandle auf einem schmalen Grat.
    Mein Weg führt über brodelnde Lava. Hundert Meter unter mir wirft sie Blasen. Von hier oben wirken die Blasen klein, und es dringt nur wenig Hitze herauf, doch gerade das macht die Sache so bedrohlich. Was aus hundert Metern so klein wirkt, ist von nahem sehr groß, und was noch aus hundert Metern Entfernung die Wärme einer Sauna abgibt, ist in unmittelbarer Nähe glühend heiß.
    Meinen Weg darf ich nicht einmal zu Fuß zurücklegen. Ich stecke in einer durchsichtigen Kugel. Nimmt man es ganz genau, bewege ich nicht einmal diese, sondern nur den Steg, auf dem ich rolle. Ich selbst kann gar nichts tun - meine ganze Welt muss kippen, damit ich vorwärtskomme.
     
    »Noch ein bisschen nach links, einen Hauch noch«, sagt Hartmut, doch ich neige den Steg zu stark. Die Kugel rollt über den Rand, und das Äffchen stürzt schreiend in die Tiefe.
    »Ihr lenkt euch ab«, sagt Susanne, die mit einem Spültuch in der Tür steht.
    »Ai Ai muss ans Ziel kommen«, sage ich und zeige auf den Fernseher, wo uns die Playstation 2 anbietet, es mit dem Level noch mal zu versuchen. Unsere Playstation 1 haben wir vor vier Wochen auf einem Rastplatz dem Finanzamt als Unterpfand geopfert, um unsere Schildkröte Irmtraut zu retten. Wir haben die alte graue Konsole in unserer neuen Berliner Wohnung durch eine schmale, schwarze 2er ersetzt, die auch längst ein Auslaufmodell ist. Wir hinken der Geschichte gern hinterher.
    »Jetzt hat die Stadt auch uns in ihre Gewässer gelockt«, scherzte Hartmut, als wir in Berlin ankamen, damit er in aller Ruhe mit dem Chef vom Angler Verlag über sein Buch sprechen konnte, über die finale Fassung des Manifestes für die Unvollkommenheit. Es gab nicht viel Geld dafür, gerade genug, um in dem billigsten Modell von Wohnung ein paar Monate zu überleben. Und Berlin ist billig, zumindest in Vierteln wie dem Wedding. Außerdem gäbe es hier Jobs, dachten wir. Wo, wenn nicht hier? Hartmut wäre nahe am Verlag, und fürs Weiterreisen fehlte uns nach den letzten Monaten einfach die Kraft. Wieder in Motels leben oder altes Fachwerk in der Provinz restaurieren? Danke, nein. Also blieben wir. Erst mal. Die Tatsache, dass wir aus Kartons leben und im Grunde pleite sind, hat jeder von uns damit überspielt, sich nach dem Einzug genau eine Kleinigkeit zu gönnen. Hartmut und ich haben die Playstation 2 gekauft, in der Slim Edition mit Stoßschäden am Gehäuse und nur einem beiliegenden Spiel, Super Monkey Ball. Caterina hat einen neuen Pinselsatz in einem Kunstbedarfsladen im Prenzlauer Berg erworben. Susanne hat einen 15 Jahre alten Whiskey in einer Bar getrunken, das Glas abgestellt und gesagt: »Schluss mit den Spielchen, ich suche mir jetzt Arbeit!«
    Die Kaution für unsere Wohnung sowie die erste Miete ist von meinem Konto abgegangen, das damit bei 1082,73 Euro steht. Susanne hat die nötigsten Möbel von der Sperrmüllhalle bezahlt, die jetzt hier verstreut im Wohnzimmer stehen, wobei »Wohnzimmer« ein einziger Euphemismus ist, wie Hartmut das nennen würde. Im Gegensatz zu unserer guten alten Bochumer WG besteht die Berliner Bleibe nur aus einem großen Zimmer, an das eine kleine Küche und ein Bad angrenzen. Letzteres besitzt wenigstens eine Wanne. Den Hauptraum haben wir mit Paravents in mehrere Parzellen unterteilt, beim Sex gilt es, leise zu sein, was Hartmut nie gelingt. Wir denken oft daran, ob es nicht besser gewesen wäre, unser mühsam renoviertes Haus in Großbärenweiler einfach zu behalten. Dann wären wir niemals mit Caterinas Wanderausstellung »Kunstpause« auf Rasthoftournee gegangen, und der Staat hätte nie bemerkt, dass Hartmut ihm inklusive der Strafen fast 100.000 Euro an Steuern und Gebühren schuldet. Andererseits hätte Hartmut nie sein Buch geschrieben und dafür einen Verleger in Berlin gefunden. Er wäre niemals auch noch Schriftsteller geworden, nachdem er bereits Philosoph, Aktivist und Online-Lebensberater ist. Sein »Manifest für die Unvollkommenheit« hat ihm 5000 Euro Garantievorschuss eingebracht. Nicht genug, wenn man bedenkt, dass der Staat nach all den Nachzahlungen ab jetzt Vorauszahlungen verlangt. Nicht genug, wenn man sieht, dass Hartmut seit Erscheinen des Buches erst für vier Lesungen gebucht wurde. Zwei davon wurden bezahlt, eine davon in Naturalien.
    Heute Abend steht die fünfte Lesung an, ein Club namens »Kellerloch« hat ihn eingeladen. Fernsehinterviews bei Kerner und Schmidt bleiben bislang
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