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Im Dutzend phantastischer

Im Dutzend phantastischer

Titel: Im Dutzend phantastischer
Autoren: Nicole Rensmann
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arm, allerdings auch nicht übermäßig reich. Reichtümer waren mir nicht wichtig. Damit erreichte ich nicht das, was ich mit dem Schreiben Tag für Tag und viele Nächte versuchte. Was mir, Gott sei Dank, immer häufiger gelang. Schreiben, so schnell meine Finger es aushielten, über all das Schreckliche, all die Grausamkeiten und Abartigkeiten, all die Brutalitäten und Misshandlungen – nur, um sie zu verhindern. Aber was wusste er schon davon. Peter, der schmierige Anlageberater.  
    »Peter,« bat ich, »ich bin nicht aus beruflichen Gründen hier, nicht um eine Lesung abzuhalten.« ( Die ich so sehr hasse , fügte ich in Gedanken hinzu, dienten sie doch nur als Mittel zum Zweck.) »Und ich will mein Geld nicht anlegen. Also, bitte! Lass mich in Ruhe, ich möchte mich gerne weiter unterhalten. Okay?«
    Peter zögerte und ich dachte, gewonnen zu haben, als er sich von mir entfernte. Aber ich hatte nicht mit seinem beruflichen Ehrgeiz gerechnet, denn er zog sich einen Stuhl heran.
    Ich versuchte ihn zu ignorieren und widmete mich meiner Gesprächspartnerin. Aber Peter interessierte das nicht die Bohne. Er quatschte dazwischen, versuchte mir begreiflich zu machen, was ein Investmentfonds ist und wie viel Geld damit zu machen sei; dass auch Aktien eine feine Sache wären, aber zeitweise riskant. Ich hörte nicht zu, Peter redete weiter.
    »Jetzt reicht's!«, herrschte ich ihn an. Die ehemaligen Klassenkameraden verstummten, einige grinsten. Anscheinend hatten sie Peters Laberei schon hinter sich.
    Leise zischte ich: »Ich wünsch' dir nichts Böses, aber lass mich in Ruhe!« Ich stand auf, nickte Susanne zu und verließ den Raum, um auf die Toilette zu gehen. Dorthin konnte mir Peter nicht folgen. Es sei denn, er unterzog sich einer sekundenschnellen Geschlechtsumwandlung. Aber das sollte nicht sein Schicksal sein.
     
    Ich hatte es gesehen, kurz bevor ich aufgestanden war, bevor ich den Raum verlassen hatte. Es war nur ein blitzschneller Gedanke, so schnell, dass er kaum greifbar war, aber ich hatte es gesehen – so wie immer. Aber hier hatte ich keinen Computer, keine Schreibmaschine, nicht einmal einen Stift, um ihn vor dieser Gefahr zu warnen. Manchmal war das Schicksal stärker. Manchmal konnte ich nichts dagegen unternehmen. Manchmal war ich zu schwach. Ich stützte mich auf das Waschbecken, atmete tief durch. Und wenn ich es ihm sagte? Dann hätte ich ihn für den Rest des Abends an meiner Seite kleben. Er würde mich mit seinem Geschwätz nerven, aber ich hätte ihm das Leben gerettet. Eindeutig. Ich blickte meinem Spiegelbild in die Augen. Es waren dunkelblaue, mit ein paar grünen Sprenklern darin. Es waren schöne Augen. Auch sonst war ich hübsch. Aber ich hatte keinen Mann, dafür blieb keine Zeit. Ich musste schreiben, schreiben, meine Arbeit war wichtiger als mein Leben. Eine Stunde Liebe bedeutete das Leben vieler Unschuldiger. Damit konnte ich nicht leben.
    Ich riss mich von meinem Anblick los und eilte aus dem Toilettenraum heraus.
    Mein Blick schweifte hektisch über die 27 Anwesenden. Der mutierte Spargelpeter mit seinem teuren Anzug war nicht darunter. Ich war zu spät, das wusste ich. Meine Knie zitterten ein wenig, als ich mich setzte. Es war also wieder geschehen. Hätte ich ihn nicht so angefaucht, wäre er vielleicht geblieben. Peter, berichtete Susanne, hatte den Raum fluchtartig verlassen. Ich war die letzte Person dieses Abends gewesen, bei der er versucht hatte, seine beruflichen Neigungen unterzubringen. Er hatte bei niemandem Erfolg gehabt und er würde auch zukünftig keinen Erfolg mehr haben.
    Er würde zu schnell fahren und die Linkskurve nicht nehmen können. Sein Auto würde die Leitplanke durchbrechen und einen steilen Abhang hinunterstürzen. Peter würde schon tot sein, wenn der zerbeulte Wagen zum Stehen kam und in Flammen aufging. Wenigstens die Qualen des Verbrennens blieben ihm erspart! Vielleicht hatte er es schon hinter sich.
    Ich fühlte mich schlecht. Wieder hatte ich es nicht verhindern können. Natürlich, das geschah oft. Ich konnte nicht alle Verbrechen, alle Unfälle dieser Welt aufs Papier bringen und dem Schicksal einen anderen Drall geben. Aber diesmal war ich selbst daran schuld. Ich hätte es wissen müssen; ja, das hätte ich.
    Ich hätte ihm wenigstens sagen müssen, dass er noch bleiben sollte.
    Aber er war schon weg, als du von der Toilette kamst , sprach eine innere Stimme zu mir.
    Ja, aber ich hätte ihm hinterherrennen können. Hättest du nicht .
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