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Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld
Autoren: Rita Hampp
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tranchieren?«
    Ihr Bruder betrachtete eingehend seine rissigen Hände. »Willst du das wirklich?«, fragte er mit leisem Entsetzen in der Stimme.
    Maria rettete die Situation, indem sie ihn sanft zur Seite nahm, in ihrer Handtasche kramte und ein Paar Einmalhandschuhe hervorzauberte.
    Rosie drehte das Radio mit dem Glockenläuten lauter, und Georg streifte die Plastikhandschuhe über und folgte Ebba in die Küche. Mit gerunzelter Stirn machte er sich daran, den Vogel kunstvoll und akkurat zu sezieren. Während Ebba die Teile in den Ofen zurückschob, pellte er sich aus den Handschuhen und verschwand im Bad, wo man ihn gleich darauf stöhnend die Finger schrubben hörte.
    Ebba schmeckte die Gemüsesorten ab, dann gab sie Rosie das Zeichen, die Vorspeise aufzutragen. Der Kräutertee für ihre Mutter war aufgebrüht, in den schlanken Gläsern perlte das Mineralwasser, und sie selbst schenkte sich den mitgebrachten Rotwein ein und schwenkte die samtige Flüssigkeit andächtig in dem hohen, bauchigen Glas.
    Ihre Mutter hatte sich in der Zwischenzeit umgezogen und trug nun ein dunkelblau schimmerndes Seidenkleid, auf dem die Kette mit dem Perlenkreuz gut zur Geltung kam. Naserümpfend schüttelte sie den Kopf.
    Â»Für einen Abend könntest du wirklich auf Alkohol verzichten. Du weißt doch, was er anrichten kann«, sagte sie leise und faltete mit großer Geste die Hände, bevor Ebba etwas erwidern konnte.
    Â»Mama, bitte«, versuchte sie es noch, aber es war zu spät.
    Â»Wir haben Schuld auf uns geladen und müssen Buße tun«, begann ihre Mutter eindringlich. »Georg, Rosie, Ebba, faltet die Hände, schließt die Augen und betet mit mir um Gnade und Erlösung, denn wir haben gesündigt.«
    Die Einzige, die mitmachte, war Maria. Die Schwestern tauschten beunruhigte Blicke aus, und Georg wurde bleich, während sich seine Lippen leicht bläulich färbten. Seine Augenhöhlen schienen plötzlich riesengroß zu sein, und die Nase wurde spitzer. Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn, und er musterte angestrengt seine rissigen Finger.
    Â»Unsere Schuld, unsere große Schuld«, murmelte Frieda unverdrossen, als merke sie nicht, dass es nicht mehr lange dauern würde.
    Â»Amen«, unterbrach Ebba sie. »Lasst uns anfangen, ehe alles kalt wird.«
    Â»Vergebung. Wir müssen um Vergebung bitten«, beharrte ihre Mutter. »Ich konnte nicht verhindern, Schuld auf euch zu laden, und deshalb ist es genauso auch meine …«
    Krachend flog der Stuhl nach hinten, als Georg aufsprang und sich schwer auf die Tischplatte stützte. Es sah aus, als wolle er die Tafel umwerfen oder als sammelten sich schreckliche, tödliche Worte in ihm, an denen er entweder ersticken oder die er ihnen gleich wie einen Speer entgegenschleudern würde.
    Rosie begann zu wimmern und krümmte sich, Frieda ergriff das Kreuz auf ihrer Brust und hob es hoch, als wolle sie einen Vampir vertreiben, und Maria stand langsam auf, als könne sie dadurch verhindern, was sich anbahnte.
    Â»Es ist genug, Mama«, sagte Georg leise. »Wir wissen es, wir denken Tag und Nacht daran. Wir brauchen deine Gebete und deine Ermahnungen nicht. Niemand wird uns die Last nehmen, und wenn du noch so viel betest. Wir alle sind uns seit damals einig, dass niemand jemals darüber ein Wort verliert. Ich habe dich gestern am Telefon gebeten, uns damit in Ruhe zu lassen. Aber du …«
    Â»Ich hätte deinem Wunsch gern entsprochen, aber ich kann doch nicht …«
    Â»Ich kann nicht, ich kann nicht … Ich habe es satt, mir das länger anzuhören. Mein Leben lang hat mich dieses ›ich kann nicht‹ verfolgt. Ich sage dir eines, Mama: Du hättest sehr wohl gekonnt. Es wäre als Mutter sogar deine Pflicht gewesen, uns zu retten und zu beschützen. Wer hätte es sonst tun sollen?«
    Â»Georg, bitte. Mama hat getan, was sie konnte, aber sie war eben schwach. Sie hat doch am eigenen Leib …«
    Â»Entschuldige nicht alles und jeden, Rosie. Es wäre nie so weit gekommen, wenn sie gehandelt hätte, anstatt immer nur zu jammern. Es hätte gereicht, dem Pfarrer einen Hinweis zu geben, anstatt sich in Psalmen und Bibelstellen zu wälzen. Weißt du eigentlich, was du uns angetan hast, Mama?«
    Ebba schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Jetzt ist es genug. Du hast deine Meinung gesagt. Alles Weitere, was dir noch
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