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Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld
Autoren: Rita Hampp
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auf der Zunge liegt, wird dir später leidtun, Georg. Hör auf. Es bringt nichts. Es ist Vergangenheit. Wir müssen sehen, wie wir anständig weiterleben. Jetzt und heute und morgen. Also setz dich hin und iss.«
    Georg aber blieb stehen. Er schwankte leicht, und Ebba sah ihm an, dass ihm das Herz wieder zusetzte. Maria hielt schon das kleine Fläschchen bereit, das er gleich brauchen würde. Es würde sein wie immer. Er würde im Bad verschwinden und nach ein paar Minuten wortlos zurückkommen und sich zu ihnen setzen, und sie würden über ihre beruflichen Pläne, Urlaubswünsche und Wohnorte reden, als sei nichts geschehen, und alles würde gut sein.
    Aber diesmal dachte Georg nicht daran. Er streckte die Hand nach seiner Frau aus und ging mit ihr aus dem Zimmer, aus der Wohnung, aus dem Haus. Ohne ein Abschiedswort verließ er sie, und eine düstere Ahnung befiel Ebba, es könne vielleicht für immer sein.

Vier
    Unten blieb er stehen und lehnte sich erschöpft an die Hausmauer. Wie hatte die Situation nur so außer Kontrolle geraten können? Es war unverzeihlich gewesen, wie er sich benommen hatte. Er fühlte sich beschmutzt, nicht nur, weil er sich auf dem Weg nach unten mit bloßen Händen am Geländer festgehalten hatte. Alles war in Unordnung geraten, in seinem Kopf kreiselten Gedanken und Erinnerungen wie losgelöst, dabei gehörten sie gebändigt, zurückgedrängt in ihre Schubladen, verschlossen, weggesperrt. Vergessen. Warum funktionierte das nicht? Es war ein Fehler gewesen hierherzukommen. Jedes Jahr war das bizarre Weihnachtsgeschehen ein Stück weiter auf diesen Eklat zugetrieben. Er hatte es doch kommen sehen! Warum hatte er sich dem wider besseres Wissen ausgesetzt?
    Wenn er seinen Gedanken weiter freien Lauf ließ, würde er noch durchdrehen. Dann würde er in tausend Stücke zerbrechen, und sein Herz würde ihm den Rest geben. Davor hatte er Angst. Er war doch erst fünfunddreißig, und er hatte sich sein Leben gerade so eingerichtet, dass er sich gut darin zurechtfand. Er musste sich zusammennehmen. Am besten zählte er die Sterne am Himmel oder die Laternen in der Straße oder …
    Ihm war kalt, wie immer in Situationen, die er nicht beherrschen konnte. Fast rechnete er damit, dass ihm seine eisigen, bläulichen Fingerkuppen erfroren abfallen würden. Er starrte sie an, zählte sie, zählte seine Mantelknöpfe.
    Maria sagte etwas zu ihm, aber er verstand sie nicht. Er konzentrierte sich ganz auf die kalte, feuchte Luft, die nach Schnee roch, obwohl es etwas wärmer geworden war. Sie würden auf dem Heimweg also keine Schwierigkeiten haben.
    Sein Magen krampfte sich zusammen, als er sich ausmalte, was dann sein würde. Würde er in Heidelberg alles so antreffen, wie er es verlassen hatte? Maria war die ganze Zeit bei ihm gewesen. Sie war nur kurz vor der Abfahrt noch einmal ins Haus gegangen, weil sie das Nitrospray für ihn vergessen hatte. Er hatte vom Wagen aus genau hingesehen; sie hatte zweimal abgeschlossen. Oder nicht? Die Frage quälte ihn schon seit der Abreise.
    Maria griff nach seinem Arm und dirigierte ihn ein paar Straßen weiter, wo der Passat stand. Er ließ sie auf dem Beifahrersitz Platz nehmen und riss sich ein paar Bögen der Küchenrolle ab, die er hinter seinem Sitz verstaut hatte. Dann begann er mit spitzen Fingern, die Regentropfen von den Scheiben zu wischen, polierte die Vorder- und die Rücklichter, säuberte die Seitenspiegel und die Nummernschilder. Schließlich nahm er neues Küchenpapier, setzte sich ins Auto und wischte das Armaturenbrett ab.
    Angeekelt betrachtete er anschließend seine Hände und kramte ein Desinfektionstuch aus der Manteltasche. Das sollte bis zur nächsten Raststätte genügen, wo er sich die Hände richtig würde waschen können.
    Â»Kannst du fahren?« So rücksichtsvoll Maria die Frage auch formulierte – sie traf ihn. Es war grauenhaft gewesen. Er hatte sich nicht gut verhalten. Er war der Älteste der Geschwister, er hätte besonnen bleiben müssen. Aber er hatte versagt, wie immer. Wieder erfasste ihn übergroße Erschöpfung, und er musste sich sehr zusammenreißen, um nicht einfach die Augen zu schließen und ihr nachzugeben. Allein den Zündschlüssel herumzudrehen kostete ihn übermenschliche Kraft.
    Â»Das verstehst du nicht«, gab er zurück, als der Motor
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