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Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld
Autoren: Rita Hampp
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Idee gewesen, sie hatte allen gesagt, dass sie für alles sorgen würde. Sie war die Starke. Wenn sie einen Fehler beging, wurde immer jemand bestraft. Und meistens traf es Rosie.
    Es hörte nie auf. Und es kam immer wieder hoch. Jedes Jahr an Weihnachten. Ausgerechnet Weihnachten. Dabei hatte sie diesen Termin für die alljährliche Familienzusammenkunft mit Bedacht gewählt. Sie alle hatten sich doch immer insgeheim nach dem Fest gesehnt.
    In ihren Schläfen begann es zu pochen. »Hat jemand eine Kopfschmerztablette für mich?«, fragte sie.
    Stille. Genauso gut hätte sie nach einer Bombe oder einem Joint fragen können. Tabletten einzunehmen war im Haushalt Frieda Seidel tabu. Selbst Rosie würde ihrer Mutter nie verraten, dass sie es nur mit Valium nach Freiburg schaffte.
    Es dauerte eine Sekunde, bis sich die kollektive Schockstarre löste, Maria wieder mit dem Staublappen über die Möbel fuhr und Georg die Wassergläser wie Soldaten auf dem Esstisch aufstellte.
    Rosie seufzte kurz und hinkte zu ihrer Reisetasche. »Ich habe was für euch«, verkündete sie gut gelaunt. »Schaut. Ich hoffe, ich habe das Richtige getroffen.«
    Ebba ließ das Messer sinken. Nicht schon wieder! Sie hatten abgemacht, sich nichts zu schenken. Alle hielten sich daran, nur Rosie mal wieder nicht.
    Zugegeben, das Prachtbuch über den Louvre war wunderschön. Bei Maria löste der Bildband über die Philippinen einen Schwall Tränen aus, und Georg murmelte verlegen Dankesworte, als er die extra pflegende Handcreme auspackte, die Rosie in Dänemark für ihn besorgt hatte.
    Ebba jedoch blieb der Dank im Hals stecken. Sie wusste, dass Rosie eine Reaktion erwartete. Irgendeine Regung. Ein Lächeln, eine Umarmung, ein liebes Wort. Einen Ausdruck von Freude. Aber es ging nicht. Gefühle zu zeigen war etwas für schwache Menschen wie Maria, die sich kaum mehr beruhigen konnte. Man kam nicht sehr weit im Leben, wenn man anderen zeigte, wie es in einem aussah. Auch Jörg hatte schon ein paarmal irritiert gewirkt, wenn sie nach außen kühler reagierte, als er es sich wohl wünschte oder erwartete.
    Ihr Kopf stand inzwischen lichterloh im Kreuzfeuer von Hammer und Amboss. Es dröhnte und klopfte, als würde ihr Schädel gleich explodieren.
    Ebba legte das Buch auf einen Stuhl und presste ihre Finger gegen die Schläfen, massierte kreisend in den Schmerz hinein, doch der ließ sich nicht bändigen und breitete sich immer weiter aus, fuhr ihr in den Nacken, zog ihre Schultermuskeln zusammen. Und es wurde nicht besser, als ihr Blick auf Rosie fiel, die mit bebender Unterlippe gegen die Tränen kämpfte.
    Â»Du hast es schon, oder? Es ist erst letzten Monat auf den Markt gekommen, deshalb dachte ich, du freust dich …«
    Gleich würden alle Dämme brechen. Ebba rang sich ein Lächeln ab. »Doch, sehr schön, Rosie, aber wir wollten uns nichts schenken. Ich habe auch nichts für dich.«
    Â»Ach, das ist es! Ich dachte schon, du freust dich nicht. Lass gut sein, Ebba, ich schenke doch gern, das weißt du. Du musst deswegen kein schlechtes Gewissen haben.«
    Die Schmiede in ihrem Kopf bekam Unterstützung von mehreren Presslufthämmern, die jeden einzelnen Nerv bloßlegten. Vor ihren Augen begann es zu flimmern, sie musste sich setzen. Ganz kurz nur.
    Â»Ist der Tisch gedeckt? Mama kommt gleich, dann können wir anfangen«, hörte sie sich sagen, und es wunderte sie, wie beherrscht das klang. Ganz und gar nicht nach jemandem, der gleich zu Boden gehen würde.
    Energisch stützte sie ihre Hände auf die Knie und stand auf, streckte das Kreuz durch, ging ans noch offene Fenster und machte ein paar tiefe Atemzüge. Die kalte Luft tat gut. Sie musste sich beruhigen. Vielleicht fand sie irgendwo eine Tinktur oder einen Balsam, den sie auf die Schläfen reiben konnte. Solche Hilfsmittel ließ Frieda Seidel gelten. Aber Ebba wollte das Wort Kopfschmerz nicht noch einmal in den Mund nehmen. Schon gar nicht nachher im Beisein ihrer Mutter, denn das konnte weit Schlimmeres auslösen.
    Nein, sie würde gar nichts sagen und sich nichts anmerken lassen. Man musste funktionieren, wie immer – auch an diesem Tag des Jahres.

Drei
    Es dauerte trotzdem nicht mehr lange.
    Im Nachhinein kam es Ebba vor, als hätten alle nur auf irgendeinen noch so kleinen Auslöser gewartet.
    Diesmal geschah es, als ihre Mutter zur
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