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Herrscher

Herrscher

Titel: Herrscher
Autoren: Howell Morgan
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    ZUERST KEHRTE Othars Geruchssinn zurück. Er atmete Leichengestank ein. Dann öffnete er seine Augen und erblickte einen sternenlosen schwarzen Himmel. Sein Fleisch schien zu glühen. Der Schmerz führte zum Erwachen der Erinnerung. Und damit kam die Wut. Sie hat mir das angetan! Othar entsann sich ihres Namens. Dar!
    Als der Zorn des Zauberers sich zu ehernem Hass verfestigt hatte, überlegte er, was geschehen sein konnte: Wie kann eine Gebrandmarkte zur Königin der Orks aufsteigen? Othar dachte über diese Frage nach. Sie hat eine Sippentätowierung. Sie hat gesagt, sie sei wiedergeboren worden. Er hatte nichts von dieser Möglichkeit gewusst. Othar fragte sich, was wohl aus der vorherigen Königin geworden war. Offenbar war sie tot, denn Dar hatte ihren Leichnam für eine List benutzt, um den Orks Zutritt zur Stadt zu verschaffen. Hat Dar sie umgebracht? Vermutlich nicht.
    Aber ich habe Dar getötet. Trotz der Schmerzen schmunzelte Othar. Ich habe sie mit einer vergifteten Klinge verletzt. Und sie … Ihm fiel ein, dass sie seine wertvollen Zauberknochen
ins Feuer geworfen, sie vernichtet und dadurch ihre Kräfte freigesetzt hatte. Die Knochen hatten ihn verbrannt. Er wünschte sich voller Inbrunst, dass Dar die gleichen Qualen erleiden musste. Doch sie hatte im Blut des Königs gestanden und war geschützt gewesen. Sie hatte zugeschaut, während er hatte leiden müssen. Ihm fiel ein, dass er seine Haut hatte Blasen werfen sehen. Sein Fleisch war schwarz geworden, seine Fingerknochen Glied um Glied auf den Fußboden gefallen.
    Mit beschwerlicher Anstrengung hob der ehemalige Hofzauberer den Kopf. Er lag inmitten der verwesenden Überreste von Armen und Verbrechern in einer Leichengrube. Der Gestank ließ sich kaum ertragen.
    Da ihm Hände und Füße fehlten, überlegte Othar, ob er überhaupt aus der Grube klettern konnte. Da hörte er Stimmen.
    »Heute Abend hamse wieder wen reingeworfen.«
    »Gardisten, sagst du?«
    »Jawoll. Kann jemand gewesen sein, der nicht bloß Lumpen anhatte.«
    Othar sah eine Hand, die eine Laterne über die Grube hob. Sie erhellte die stoppeligen Mienen zweier Männer. Sobald er ihre Augen sah, konnte er ihre Gedanken lesen. Sie waren nicht in Worte gefasst, doch er begriff ihre Bedeutung. Der Kerl mit der Laterne wird gleich von dem anderen fordern, dass er meine Kleider stiehlt. Othar staunte, denn über diese Fähigkeit hatte er bislang nicht verfügt.
    Nun spürte er, dass sein Schmerz und seine Wut auch eine andere Empfindung überlagert hatten. Sie kribbelte in ihm; so ähnlich musste es sich anfühlen, wenn man von einem Blitz getroffen worden war. Aber es war mehr als ein Gefühl: Es ähnelte eher einem fremden Ich; einer machtvollen, ruhelosen, wilden, brutalen Wesenheit.

    Eine Leiter wurde in die Grube gesenkt. »Geh runter und hol sein Gewand«, verlangte der Mann mit der Laterne. »Es sieht ja noch so gut wie neu aus.«
    Sein Begleiter zögerte. »Das ist doch die Blutkrähe. Dem tret ich lieber nicht zu nah.«
    »Dann tret ich dir in den Arsch. Du kannst klettern oder fallen, such’s dir aus.«
    »Ich hab ’n ganz mieses Gefühl, Tagg. Er ist bis auf die Augen völlig verkohlt. Bei Karm, ich krieg das Schlottern.«
    »Er ist tot, Naggel. Er kann keinem mehr was tun. Also spute dich!«
    Langsam kletterte Naggel die Leiter hinab. Othar gewahrte seinen Abscheu, als spürte er ihn selbst. Als er nach Naggels Geist tastete, erkannte er, dass er ihn seinem Willen unterwerfen konnte. »Hilf mir«, flüsterte er heiser. Naggel verharrte. Othar spürte sein Erschrecken und Entsetzen. Er blickte zu Tagg hinauf. »Komm runter.« Tagg gehorchte, und daraufhin wandte sich Othar an beide Männer. »Schafft mich hier raus.«
    Die Männer wollten sich ihm widersetzen: Othar spürte ihre Furcht und ihren Ekel. Aber er rang ihren Widerstand nieder, unterdrückte ihre Empfindungen und drängte beide an den Rand des Wahnsinns. Sobald sie ihm nur noch gehorchen konnten, hoben sie ihn brav aus dem feuchten Lehm, zogen ihn die Leiter hinauf und legten ihn aufs Erdreich. Durch das Umherschleifen platzte Othars Haut auf, was ihm scheußliche Schmerzen verursachte.
    Als die Beschwerden nachließen, erteilte er Naggel weitere Befehle. »Geh, stiehl einen Handkarren. Bring ihn her.« Naggel eilte davon. »Wenn er wieder da ist«, sagte Othar zu Tagg, »bring mich zu dir nach Hause. Von nun an bin ich dein Herr.«

    Tagg nickte.
    »Erzähl mir«, fügte Othar hinzu, »was sich im Königspalast
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