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Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld
Autoren: Rita Hampp
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Stunden zu konzentrieren, die vor ihr lagen. Hoffentlich ließ Mutter sie mit ihrer ewigen Beterei in Ruhe. Hoffentlich kam Rosie pünktlich. Hoffentlich stellte Georg mit seinem Ordnungsfimmel nicht wieder die ganze Wohnung auf den Kopf. Aber seine Maria kam ja mit, die mit unglaublicher Sanftmut all seine Schwächen und Zwänge ertrug.
    Beim Einparken am menschenleeren Volkshauser Klosterplatz verkündeten mächtige Glockenschläge, dass es Mittag war. Ihre Mutter wartete bestimmt schon, damit sie zum nächsten Gottesdienst und danach nahtlos in ihren Betkreis kam. Beten war ihr Lebensinhalt, so lange Ebba zurückdenken konnte. Nie war ihre Mutter da gewesen, wenn sie sie gebraucht hatten, stattdessen hatte sie sich in der Kirche die Knie wundgescheuert. Nach dem Vorfall war sie nach Freiburg gezogen und hatte eine sehr ansehnliche kleine Drei-Zimmer-Dachwohnung mit Balkon und Münsterblick gefunden. Wenn sie nur das Beten abgelegt hätte, dem sich alles andere unterzuordnen hatte.
    Prustend zerrte Ebba die Klappkiste mit den Vorräten vom Beifahrersitz und schleppte sie zum Eingang, klingelte und hievte, als die Tür aufging, ihre Last zum Aufzug. Prüfend überflog sie die Zutaten für das Festmenü, die sie mitgebracht hatte: die Bio-Gans, die sie schon gestern gefüllt hatte, dazu Blumenkohl, Wirsing und Rotkohl, als Vorspeise Rote-Bete-Carpaccio mit Ziegenfrischkäse und Feldsalat, als Nachtisch sizilianische Orangen. Seit ihrer Jugend kochte sie gern – erst, um zu überleben, dann jedoch hatte sich Leidenschaft entwickelt.
    Die Lifttüren gingen auf. Ebba drückte den Knopf zur fünften Etage und schubste die Kiste in die Kabine, dann beobachtete sie, wie sich die Türen schlossen, bevor sie leichtfüßig die Treppen hinauflief.
    Oben wartete ihre Mutter in Hut und elegantem Mantel. Neben ihr stand ein Korb mit einer abgedeckten Schüssel darin. Ohne Begrüßung tippte sie auf ihre Armbanduhr.
    Â»Elisabetha, schade, dass du so spät bist. Ich muss los. Hier ist der Schlüssel. Tut mir leid, dass ich dir nicht helfen kann.«
    Ebba gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange. »Wann bist du zurück?«
    Â»Vielleicht gegen sechs.«
    Â»Mama! Kein Mensch kann sechs Stunden am Stück beten. Jetzt kommen wir doch nur einmal im Jahr …«
    Â»Genau. Und für die restlichen 364 Tage hat Georg seine Maria, Rosie ihre Bücher, du die Galerie, und ich – ich habe eben meinen Betkreis. Das ist mein Leben. Wir sind dort eine große Familie. Ich kann sie nicht im Stich lassen. Niemand von ihnen hat noch Angehörige. Wir haben eine kleine Andacht geplant und anschließend eine Weihnachtsfeier.« Sie machte eine Kopfbewegung zum Korb. »Ich bin diesmal für den Nachtisch zuständig. Ich hätte euch auch eine Schüssel Mousse au Chocolat gemacht, aber das willst du ja nicht.«
    Â»Die Gans ist um sechs Uhr fertig. Pünktlich.«
    Â»Du weißt doch …«
    Â»Ja. Für dich gibt es natürlich Gemüse. Drei Sorten.«
    Â»Du bist ein Schatz. Ich kann nichts versprechen, aber vielleicht bin ich etwas früher da.«
    Ebba glaubte ihr kein Wort, zwang sich jedoch ein Lächeln ab. Dann brachte sie die Vorräte in die zweckmäßig eingerichtete kleine Küche und öffnete alle Zimmertüren. Am Garderobenspiegel im Flur hielt sie inne, um ihre Frisur zu bändigen. Hoffnungslos. Als stünde sie unter Strom. Dabei ging es ihr doch wirklich gut nach dieser Nacht. Schnell noch ein wenig rosa Lippenstift; die Farbe passte gut zu den weißblonden kurzen Haaren. Sie war dennoch nicht zufrieden mit ihrem Aussehen. Zu klein, zu dünn, zu blass. Wer nicht wusste, dass sie neunundzwanzig war, hielt sie mit ihren zierlichen 1,62 Metern manchmal für einen Teenager. In der Tat würde sie leicht in Kinderkleidung passen.
    Ebba schnitt ihrem Spiegelbild eine Grimasse und warf einen Blick ins Wohnzimmer. Der Tisch war nicht gedeckt, es gab keinen Weihnachtsschmuck wie bei ihr zu Hause auch nicht. Sie hatten nur einmal versucht, Weihnachten wie alle anderen zu feiern, und das war gründlich schiefgegangen. Das brauchte kein Mensch noch einmal. Aber Kerzen, schönes Geschirr, Servietten, Tafelsilber – das gehörte sich für einen Feiertag. Später. Maria würde ihr bestimmt dabei helfen und wieder beklagen, wie kahl diese Wohnung war. Kein Nippes, keine Bilder, keine Blumen,
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