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Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld
Autoren: Rita Hampp
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Gleichgewicht zu halten, ohne runterzufallen oder zu weinen. Arme Rosie. Ganz weiß ist sie dann immer im Gesicht.
    Â»Mama«, ruft sie etwas lauter. »Georg! Rosie!« Und dann sogar: »Papa?«
    Niemand antwortet. Sie bekommt auch den Deckel nicht auf, obwohl sie ganz fest dagegendrückt.
    Â»Hallo!« Jetzt schreit sie, so laut sie kann. »Hallo!«
    Aber alles bleibt still, totenstill, und irgendwann – irgendwann kann sie einfach nicht mehr.

Eins
    Montag, 25. Dezember 2006
    Etwas Schweres lag auf ihrer Brust. Es hinderte sie daran, sich zu rühren, sich auf die Seite zu rollen, richtig zu atmen. Ebba schnappte nach Luft. Ein tiefes Brummen stülpte sich über ihren Kopf, verschloss ihre Ohren wie Watte, sperrte sie ein in ihre Urängste, lähmte sie.
    Nichts hatte sie entgegenzusetzen, das Einzige, was ihr noch blieb, war so zu tun, als träume sie nur. Bloß nicht die Augen öffnen und wieder im Dunkeln liegen. Nicht schreien. Brav sein. Still sein!
    Der Druck verlagerte sich von ihrer Brust auf ihren Hals, dann auf die Stirn, dann war er mit einem Mal fort. Jemand rüttelte sie leicht, und wenn sie sich anstrengte, konnte sie durch den dicken Wattemantel etwas hören.
    Â»Ebba, Ebba!«
    Sie traute sich nicht zu antworten, denn sonst würden die anderen noch schlimmer bestraft werden.
    Â»Ebba!«
    Das war nicht die Stimme ihres Vaters!
    Verwirrt hob Ebba den Kopf und blinzelte. Schwarze Locken, azurblaue Augen, die sie besorgt musterten, dann ein zärtliches Lächeln – Gott sei Dank! Es war Jörg, Gino, wie sie ihn am liebsten nennen würde, weil sie nicht glauben konnte, dass er bei seinem Aussehen wirklich keine italienischen Vorfahren hatte.
    Â»Wwas …«
    Â»Schschscht«, machte er und legte die Hand auf ihren Mund, ganz sacht nur, aber es war zu viel. Augenblicklich kehrte die Panik zurück. Sie musste würgen. Sie unterdrückte den über Jahre im Kampfsport antrainierten Reflex, seine Hand mit einem geübten Hebelgriff zu fixieren und zu drehen, bis er vor Schmerzen stöhnen würde, stemmte sich aber kraftvoll gegen ihn, strampelte sich mit den Beinen frei und stieß dabei einen Schrei aus.
    Er ließ sich auf den Rücken fallen und betrachtete sie verwundert. »Was war das denn?«
    Â»Nie wieder – machen!« Mehr bekam sie nicht heraus, und sein Lächeln wich Ratlosigkeit.
    Â»Was ist los? Wir hatten doch so eine wunderbare …«
    Ebba setzte sich auf und versuchte sich zu beruhigen. Sie war in ihrer Wohnung, in Sicherheit. Niemand konnte ihr etwas antun oder sie irgendwo einsperren.
    Ihr Blick wanderte vom integrierten offenen Badbereich mit der frei stehenden Wanne, neben der ihr Hayashi-Anzug mit dem braunen Gürtel am Haken hing, zur riesigen Fensterfront vor ihrem Bett, vor der sich ein grauer Morgen anschickte, das nasskalte Wetter der letzten Tage noch zu überbieten. Schneegriesel, Nieselregen, überfrierende Nässe – mal wieder Baden-Badener Weihnachtswetter wie aus dem Bilderbuch.
    Was kümmerte es sie? Sie musste erst am Mittag los, und bis dahin würde sie …
    Â»Alles in Ordnung?«
    Sie nickte und ließ sich in die Kissen zurückfallen. Dann streckte sie die Arme nach ihm aus. Wenn sie sich zusammennahm und es gezielt zuließ, war es nicht schlimm, wenn er sich auf sie legte, im Gegenteil. Aber das Gewicht seines Arms auf ihrer Brust vorhin im Schlaf hätte ihr fast den Verstand geraubt.
    Sie musste mit ihm reden, ihm Verhaltensregeln nennen. Aber sie hatte Angst davor, denn es waren viele, und vielleicht würde er deswegen die Beziehung abbrechen, die doch gerade erst begonnen hatte.
    Sie spürte, wie sich ihre Brustwarzen aufstellten, als er ihr die schweißnasse Seidenjacke aufknöpfte, als seine warmen Fingerspitzen leicht wie eine Feder über ihre Kehle, die Halsbeuge, die Brüste strichen, sich den Weg hinab suchten, innehielten … Sie wünschte sich inständig, er möge weiter machen, keine Fragen stellen, sondern sie einfach weiter lieb kosen. Lustvoll drehte sie den Kopf zur Seite und … Nein! Vorbei die prickelnde Versuchung, den Kopf auszuschalten, nur noch Gefühl zu sein.
    Die Tür! Er hatte die Tür zwischen Schlaf- und Wohnzimmer geschlossen.
    Â»Nein!«
    Â»Ebba, beruhige dich.«
    Aber sie wollte sich nicht beruhigen, denn schon schwoll das Brummen in ihrem Kopf an. Sie musste etwas tun, sofort!
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