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Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld
Autoren: Rita Hampp
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ausbrach? Vielleicht sollte sie den Traum von heiler Familienwelt tatsächlich begraben. Vielleicht sollte sie akzeptieren, dass die Seidels auseinanderdrifteten. Vielleicht sollte sie aufhören, ihre Angehörigen einmal im Jahr zusammenzutrommeln. Auch noch hier in diese kleine Wohnung, in der man sich nicht aus dem Weg gehen konnte.
    Wozu hatte sie damals diese Schuld auf sich geladen? Doch nur, um die Familie zu retten. Was hatte sie jetzt davon? Eine Mutter, die weiterhin flüchtete, einen Bruder, der mit sich selbst genug zu tun hatte, und …
    Wieder klingelte es.
    Â»Das muss Rosie sein. Dann war der Zug pünktlich.«
    Ebba schob den Bräter zurück in den Ofen, schlängelte sich an Georg vorbei, der inzwischen das Gewürzregal durcharbeitete, und ging zur Tür. Sie verübelte es ihrer großen Schwester immer noch, so weit fortgezogen zu sein. Schleswig, die Schlei und die Ostsee mochten im Sommer vielleicht für Wassersportler reizvoll sein, aber über die Hälfte des Jahres war es doch trostlos da oben, gleichgültig wie flach es auch war. Kürzlich hatte Rosie auch noch die Buchhandlung »Eulennest« gekauft, in der sie bisher angestellt gewesen war. Sie würde also nie mehr zurückkommen.
    Immerhin folgte Rosie der Einladung noch treu und brav jedes Jahr, auch wenn jeder wusste, wie schwer ihr das fiel. Da sich ihre Mutter weigerte, Freiburg zu verlassen, hatten sie keine andere Wahl, als sich im südwestlichsten Zipfel der Republik zu treffen.
    Ebba erschrak, als sie ihre Schwester sah. Seit dem letzten Weihnachtsfest hatte sie noch weiter an Gewicht verloren und es offenbar auch aufgegeben, einen guten Friseur zu finden. Eine jugendliche Glitzerspange hielt die hellen Strähnen zu einem Pferdeschwanz zusammen. Weil sie blass und ungeschminkt war, sah sie magenkrank aus. Sie wirkte älter als vierzig, dabei hatte sie erst kürzlich ihren einunddreißigsten Geburtstag gefeiert. Fast unmerklich zuckte ihr Mund, als sie das Gewicht auf den anderen Fuß verlagerte, um Ebba an ihren braunen Lodenmantel zu drücken und ihr die Haare glatt zu streichen. Leider roch sie kein bisschen nach Wind und Meer, sondern nach Mottenkugeln und Bücherstaub.
    Aber ihr Lachen machte alles wett; es verwandelte ihre blasse, unscheinbare Schwester jedes Mal in eine unwiderstehlich attraktive junge Frau. Noch einmal fuhren ihre Hände über Ebbas Kopf.
    Â»Deine Haare, also wirklich! Regst du dich schon wieder auf? Lass sie doch wachsen! Dabei siehst du glücklich aus. Wie läuft die Galerie?«
    Â»Besser als erhofft. Ich habe mit dem Standort ein Riesenglück gehabt. Warum kommst du heute Abend nicht mit und siehst sie dir an? Du kannst bei mir übernachten.«
    Rosie rang ihre Hände und wurde rot, wie immer, wenn sie nicht wusste, wem sie es recht machen sollte.
    Â»Mama wäre enttäuscht. Sie ist doch viel zu oft allein.«
    Â»Ist sie nicht!«
    Â»Ach, komm, meinst du den Betkreis? Der ist doch kein Ersatz für Familie oder Geborgenheit. Wenn sie wenigstens ein Haustier hätte! Ein Kätzchen würde schon reichen.«
    Â»Sie hätte gar keine Zeit dafür.«
    Â»Ach, Ebba, sei nicht so hart mit ihr. Ich glaube, es ist für sie wichtig, wenn ich bei ihr bleibe. Wenigstens für diese eine Nacht.«
    Ende der Diskussion.
    Ebba ging zurück in die Küche und hackte auf dem Wirsing herum, während Georg und Maria Rosie begrüßten.
    Dann übernahmen Maria und Georg es, den Tisch zu decken. Rosie kam zu ihr in die Küche und gähnte herzhaft.
    Â»Trinkst du einen Kaffee mit? Ich habe die Valium zwar schon um kurz vor sieben genommen, aber irgendwie steckt sie mir noch in den Gliedern.«
    Sie warf ihren Mantel über den Stuhl, zupfte an ihrem braunen Schlabberpulli und bückte sich umständlich, um den Inhalt der unteren Küchenschränke zu inspizieren.
    Â»Vergiss es. Da ist nur Kräutertee.« Georg war hinter ihnen aufgetaucht, und Ebba bemerkte seinen verkniffenen Gesichtsausdruck, mit dem er Rosies ausgestrecktes steifes Bein betrachtete.
    Rosie blickte liebevoll lächelnd zu ihm hoch und richtete sich mit einem winzigen, unbewussten Stöhnen auf. »Klar. Ich hätte dran denken müssen und Kaffee mitbringen sollen. Meine Schuld.«
    Ebba hämmerte noch heftiger auf dem Schneidbrett herum. Nein, es war ihre Schuld. Sie hätte daran denken müssen! Das Essen war ihre
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