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Miss Winbolt ist schockiert

Miss Winbolt ist schockiert

Titel: Miss Winbolt ist schockiert
Autoren: Sylvia Andrew
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1. KAPITEL
        
    Berkshire, Mai 1820
    „Sie müssen einen Ehemann finden, Miss Winbolt. Eine Heirat ist die einzige Lösung für Sie.“
    Langsam stellte Emily ihre Tasse ab. „Mrs. Gosworth, ich glaube nicht …“
    „Ich kann mir gut vorstellen, wie Sie sich fühlen, meine Liebe“, unterbrach ihre Gastgeberin sie. „Die Heirat Ihres Bruders muss Ihnen das Leben sehr schwer gemacht haben. Nachdem Sie jahrelang in Shearings das Sagen hatten, ist es selbstverständlich nicht leicht, die Führung seiner Frau zu überlassen.“
    Obwohl sie sich ärgerte, musste Emily lachen. „Nichts ist abwegiger als das. Rosa und ich sind sehr gute Freundinnen und kommen hervorragend miteinander aus. Ihre Bedenken sind völlig unbegründet.“
    Mrs. Gosworth hatte nicht vor, von ihrem Lieblingsthema Abstand zu nehmen. „Natürlich will Ihre Schwägerin Sie nicht kränken. Aber das Personal in Shearings ist daran gewöhnt, seine Anweisungen von Ihnen zu erhalten. Wie soll die neue Mrs. Winbolt sich als Hausherrin etablieren, während Sie stets zugegen sind? Sie besitzen eine solche Entschiedenheit, dass die zarte Frau Ihres Bruders in ihrem eigenen Hause zwangsläufig in den Hintergrund gedrängt wird!“
    „Meine liebe Mrs. Gosworth, Sie irren sich in Bezug auf Rosas Charakter“, erwiderte Emily nach wie vor lächelnd. „Es mangelt ihr keinesfalls an Durchsetzungsvermögen.“
    „Du liebe Güte! Zwei willensstarke Frauen unter einem Dach! Das führt unweigerlich zu Streit.“
    „Ich bezweifle, dass …“
    „Sie können einwenden, was Sie wollen. Nur wenn Sie heiraten, ist das Problem gelöst. Suchen Sie sich einen anständigen Mann, und verlieren Sie keine Zeit.“
    Emily bemühte sich, ihren Humor zu bewahren. Sie versicherte, keinen geeigneten Mann zu kennen, und erkundigte sich, ob Mrs. Gosworth einen Kandidaten ins Auge gefasst habe. Sinn für Ironie und Feingefühl für andere gehörten jedoch nicht zu Mrs. Gosworths Stärken. „Im Augenblick nicht, allerdings dürfte es nicht allzu schwierig sein, jemanden zu finden“, verkündete sie triumphierend. „Leider ist Ihr Äußeres bestenfalls annehmbar. Ihr Bruder ist ein gut aussehender Mann, und keiner in der Nachbarschaft kann mit der Schönheit seiner Gattin konkurrieren. Sie hingegen …“ Sie schüttelte den Kopf. „Es ist wirklich ein Jammer. Ihre Situation ist dennoch nicht aussichtslos. Durch Ihre bisherige Rolle in Shearings wissen Sie, wie man einen Haushalt leitet. Das ist für viele Männer von Belang, zumal Sie mit einem ansehnlichen Vermögen ausgestattet sind.“
    An dieser Stelle verlor Emily beinahe die Fassung, auch wenn sie sich auf gar keinen Fall provozieren lassen wollte. „Dann werde ich doch allein bleiben müssen, denn auf einen solchen Gatten kann ich verzichten.“ Sie erhob sich. „Herzlichen Dank für Ihre Einladung, Madam. Ich muss mich jetzt leider verabschieden.“ Sie knickste und fügte hinzu: „Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie sich so darum sorgen, wie ich mit der Frau meines Bruders zurechtkomme. In einem Punkt kann ich Sie jedoch völlig beruhigen. Wenn ich Shearings jemals verlasse, hat es sicherlich nichts mit meinem Verhältnis zu meiner Schwägerin zu tun. Ich wünsche Ihnen noch einen guten Tag.“
    Wütend machte Emily sich auf den Heimweg nach Shearings. Sie wusste, dass Mrs. Gosworth eine verbitterte alte Frau war, die überall Streit stiftete. Aber diesmal war sie zu weit gegangen. Als Emily das Gatter öffnete, das zum Three Acre Field führte, überlegte sie, warum Mrs. Gosworths Boshaftigkeit ihr so zusetzte. Bittere Erfahrungen hatten sie gelehrt, dass ein Mitgiftjäger das Letzte war, was sie sich für ihre Zukunft wünschte. Doch wie kann ich sonst einen eigenen Hausstand gründen, ohne Philip und Rosa Kummer zu bereiten? Diese Frage ließ sie nicht mehr los, während sie das Gatter wieder hinter sich schloss und die Weide überquerte. Sie liebte ihren Bruder und ihre Schwägerin und verspürte zugleich ein wachsendes Bedürfnis nach Unabhängigkeit. Sie war so in Gedanken vertieft, dass sie Pritchards schwarzen Stier erst erblickte, als dieser sie aus einer Entfernung von weniger als zwanzig Yards anstarrte. Ihr blieb fast das Herz stehen, zumal ihr sofort die schrecklichen Geschichten in den Sinn kamen, die man sich über das Tier erzählte. Black Samson hatte bereits mehrere Hunde, die ihm zu nahe gekommen waren, aufgespießt und getötet. Ohne jeden Anlass hatte er Job Diment, einen von Pritchards
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