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Im Dienst ihrer Majestat

Titel: Im Dienst ihrer Majestat
Autoren: Ian Fleming
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Das ganze Unternehmen war für eine so mächtige Organisation wie die Union Corse ein Kinderspiel gewesen. Bond wartete darauf, daß sich endlich der Vorhang zur Hauptvorstellung hob. Er betrachtete den Mann hinter dem Schreibtisch mit gewissem Respekt. Das war einer der großen Professionals der Welt!
    »Mein lieber Commander, alles, was ich jetzt mit Ihnen bespreche, muß natürlich hinter Ihrem Horkos Odonton bleiben! Sie kennen den Ausdruck nicht?« Er lächelte breit. »Sie finden ihn bei Homer. Wörtlich übersetzt: >Das Gehege der Zähne.< Die altgriechische Bezeichnung für >streng geheim<. Sind Sie einverstanden?«
    Bond zuckte die Achseln. »Wenn Sie mir Geheimnisse anvertrauen, die etwas mit meinem Beruf zu tun haben, kann ich sie nicht für mich behalten!«
    »Das verstehe ich völlig. Was ich mit Ihnen besprechen möchte, ist rein privat. Es handelt sich um meine Tochter Teresa!«
    Du lieber Gott! Das wurde ja immer schöner! Bond verbarg seine Überraschung und sagte: »In diesem Fall bleibt natürlich alles hinter meinem Horkos Odonton!«
    »Vielen Dank. Mit Ihnen kann man offen reden. Also hören Sie.« Er zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Ich war mit einer englischen Gouvernante verheiratet. Eine Romantikerin, kam nach Korsika, um >Banditen< kennenzulernen. Später gestand sie mir, daß sie im Unterbewußtsein den Wunsch hatte, vergewaltigt zu werden. Na ja, sie gabelte mich in den Bergen auf und wurde vergewaltigt . . . von mir. Die Polizei war damals hinter mir her, wie meist in meinem Leben, und sie war eine schwere Belastung für mich. Aber sie wollte mich nicht verlassen. Sie hatte etwas Wildes an sich und liebte das Abenteuer. Es gefiel ihr, sich monatelang von einer Höhle in die andere jagen zu lassen und sich von gestohlenem Essen zu ernähren. In jener verrückten Zeit gewann ich sie so lieb, daß ich mit ihr von der Insel nach Marseille floh und sie heiratete.« Er sah Bond an. »Das Resultat, mein lieber Commander, ist Teresa, mein einziges Kind.«
    Aha, dachte Bond. Das erklärte das Widersprüchliche an ihr. Eine merkwürdige Mischung: korsisch-englisch! Kein Wunder, daß er ihre Nationalität nicht erraten hatte.
    »Meine Frau ist vor zehn Jahren gestorben, und ich habe Teresa in ein Schweizer Internat geschickt. Ich war schon damals reich, und als man mich zum Capu wählte, das ist der Chef der Union Corse , wurde ich noch unendlich viel reicher. Teresa bekam von mir alles, was sie wollte. Aber da ich dauernd unterwegs bin, hatte sie kein richtiges Heim, keine Aufsicht. Durch ihre Schweizer Schule geriet sie in die bewußte internationale Clique und ihre Dolce Vita: südamerikanische Millionäre, indische Fürsten, in Paris lebende Engländer und Amerikaner, Playboys aus Cannes und Gstaad. Ständig war sie in Skandale verwickelt, und wenn ich ihr Vorwürfe machte und ihr das Taschengeld sperrte, stellte sie noch verrücktere Dinge an - wahrscheinlich, um mich zu ärgern.«
    Er hielt inne und sah Bond an. Sein fröhliches Gesicht war traurig geworden. »Aber trotz alldem war das Blut ihrer Mutter so stark in ihr, daß sie sich selbst immer mehr haßte, immer mehr verabscheute. Sie unternahm einen verzweifelten Versuch, wieder mit sich und dem Leben ins reine zu kommen, ging weg, ohne mir ein Wort zu sagen, und heiratete. Vielleicht wollte sie seßhaft werden. Doch ihr Mann, Conte Giulio di Vicenzo, ein übler Bursche, brachte möglichst viel von ihrem Geld an sich und ließ sie dann mit einem Kind sitzen. Ich erkaufte die Scheidung und schenkte ihr ein kleines Schloß in der Dordogne. Dort schien sie fast zufrieden zu sein. Und dann starb vor sechs Monaten das Baby . . . an Kinderlähmung.«
    Schweigen herrschte in dem kleinen Raum. Bond dachte an Teresa. Er war der Wahrheit nahegekommen. Er hatte in ihrer stummen Verzweiflung etwas von dieser tragischen Geschichte erkannt. Sie war wirklich am Ende!
    Marc-Ange erhob sich langsam, trat zu Bond, schenkte noch zwei Whiskys ein und sagte: »Entschuldigen Sie, ich bin ein schlechter Gastgeber. Aber es war mir eine solche Erleichterung, mich einmal aussprechen zu können. Sie verstehen das?«
    »Ja - allerdings! Sie ist ein großartiges Mädchen. Und sie hat noch das ganze Leben vor sich. Haben Sie mal an Psychoanalyse gedacht? Ist sie katholisch?«
    »Nein, das wollte ihre Mutter nicht. Sie ist Presbyterianerin. Aber warten Sie ab, die Geschichte ist noch nicht zu Ende.« Er ließ sich schwer in den
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