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Im Dienst ihrer Majestat

Titel: Im Dienst ihrer Majestat
Autoren: Ian Fleming
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Offensichtlich war sie am Ende ihrer Kraft. Er empfand Zärtlichkeit für sie, wollte sie beschützen, ihre Probleme lösen, sie glücklich machen. Unter der Tür sagte er sanft: »Tracy, ich möchte dir helfen. Irgend etwas stimmt bei dir nicht. Aber deswegen geht ja nicht gleich die Welt unter. Ich habe auch Sorgen. Jeder hat welche!«
    »Scher dich zum Teufel!«
    Bond schloß leise die Tür hinter sich. Es hatte keinen Sinn, jetzt mit ihr zu streiten. Während er in sein Zimmer zurückging, fühlte er sich zum erstenmal in seinem Leben wirklich hilflos.
    (Das Bombard-Rettungsboot stampfte weiter flußaufwärts gegen die immer stärker werdende Strömung. Die zwei Gangster am Heck ließen Bond nicht aus den Augen. Tracy lehnte sich an ihn. Merkwürdigerweise fühlte er sich ihr jetzt näher als in der vergangenen Nacht. Irgendwie hatte er das Gefühl, daß sie ebenso gefangen war wie er.)
    Im allgemeinen war das Frühstück für Bond eine sehr wichtige Angelegenheit. Aber heute morgen hatte er kaum bemerkt, was er aß. Er saß am Fenster seines Zimmers, rauchte eine Zigarette nach der anderen, starrte auf die Promenade hinunter und dachte über Tracy nach. Er wußte praktisch nichts von ihr. Er kannte nicht einmal ihre Nationalität. Dem Namen nach war sie Südländerin, aber bestimmt keine Italienerin oder Spanierin. Ihr Englisch war fehlerlos. Ihre Kleidung und die Art, wie sie sie trug, deuteten auf beste Herkunft und Erziehung hin - wahrscheinlich in einem Schweizer Internat. Sie rauchte nicht, schien wenig zu trinken, und nichts ließ darauf schließen, daß sie irgendwelche Drogen nahm. Nicht einmal Schlaftabletten hatte er auf ihrem Nachttisch oder im Badezimmer gesehen. Sie konnte höchstens fünfundzwanzig Jahre alt sein, aber im Bett hatte sie die Sinnlichkeit und Routine einer Hure gezeigt. Sie hatte nicht ein einziges Mal gelacht, kaum gelächelt. Sie schien von einer tiefen Melancholie befallen und nach ihrer eigenen Aussage, das Leben nicht mehr lebenswert zu finden. Und doch wies sie nicht die üblichen Symptome einer Neurotikerin auf: ungekämmtes Haar, schlampige Aufmachung, zerfahrenes Handeln. Im Gegenteil, sie hatte offenbar einen eiskalten Willen, Selbstbeherrschung und Zielstrebigkeit. Aber was war ihr Ziel? In Bonds Augen der Selbstmord.
    Er sah auf den kleinen weißen Wagen hinunter, der unweit von seinem Bentley auf dem Parkplatz stand. Er mußte unter allen Umständen in ihrer Nähe bleiben, sie bewachen, wenigstens bis er sich überzeugt hatte, daß seine Sorge um sie unbegründet war.
    Endlich - gegen halb fünf - tauchte sie in ihrem schwarz-weiß gestreiften Bademantel auf. Er rannte zu seinem Wagen hinunter. Es war nicht schwer, ihr zu folgen, während sie die Promenade entlangfuhr und dann ihr Auto auf einem der Parkplätze abstellte.
    So war es schließlich zu den Ereignissen am Strand gekommen, die sich langsam ihrem geheimnisvollen Höhepunkt näherten, während das Boot den Royale hinauffuhr.
    Was sollte er von all dem halten? War sie freiwillig oder unfreiwillig ein
    Lockvogel? Sollte es eine Entführung sein? Und wenn, galt es nur ihm oder ihnen beiden? Erpressung? Die Rache eines Ehemannes oder eines Liebhabers? Oder einfach Mord?
    Bond zerbrach sich noch immer den Kopf, als der Steuermann das Boot in einem weiten Bogen durch die Strömung auf einen verfallenen Landesteg am sumpfigen Ufer zu drehte. Aus der Dunkelheit blitzte eine Stablampe auf, ein Tau klatschte herunter, und das Boot wurde zu der bemoosten Holztreppe gezogen. Zuerst stieg einer der Gangster aus, dann folgten Tracy, Bond und schließlich der zweite Gangster. Das Boot stieß sofort wieder ab und fuhr weiter flußaufwärts
    - wahrscheinlich zu seinem ordnungsgemäßen Ankerplatz im alten Hafen, dachte Bond.
    Auf dem Landesteg warteten zwei Männer von der gleichen Statur wie die Gangster. Niemand sprach, während Bond und Tracy auf einem schmalen Pfad durch die Sanddünen geführt wurden. Etwa hundert Meter vom Fluß entfernt tauchte in einer Mulde ein Licht auf. Als sie näher kamen, sah Bond, daß es aus der Führerkabine eines jener riesigen gewellten Aluminium-Sattelschlepper drang, die man auf allen Hauptstraßen Frankreichs antrifft. Er wirkte neu, aber vielleicht war er auch nur sehr gut gepflegt. Der Mann mit der Stablampe gab ein Zeichen, und sofort wurde die hintere Tür des Sattelschleppers geöffnet.
    Bond umklammerte sein Messer. Bot sich jetzt eine Chance? Nein! Ehe er die kleine Treppe
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