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Im Café der moeglichen Traeume

Im Café der moeglichen Traeume

Titel: Im Café der moeglichen Traeume
Autoren: Paola Calvetti
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Gedichte, die meine Begeisterung für das Produkt durchscheinen ließen, ohne überkandidelt oder verlogen zu wirken. Dabei habe ich nie teure Marketingkurse besucht. Meine umfassende Ausbildung verdanke ich schlicht der Tatsache, dass ich meine ersten Lebensjahre an der Seite einer einzigartigen Frau verbringen durfte – meiner Großmutter.
    Seit wenig mehr als einer Stunde tue ich nichts mehr von alledem. Ich bin ein Auslaufmodell, jeglicher Verpflichtungen entbunden, und befinde mich auf dem besten Wege, unsichtbar zu werden. Soeben strotzte ich noch vor überschüssigen Kräften, jetzt bin ich selbst Überschuss.
    Wenn man bedenkt, dass es ein ganz gewöhnlicher Dienstag war.
    Um 8:55 Uhr, als ich vor dem Eingang von Breston & Partners stand, landete die entscheidende Schneeflocke auf meiner Nasenspitze. Das weiß ich noch genau, denn bevor ich die marmorne Lobby betrat, hatte ich zu der Uhr hochgeschaut, die direkt unter den Bürofenstern hängt, und zutiefst bedauert, dass ich bis zur Mittagspause warten musste, um das Wunder des Schnees zu genießen, weil die Atmosphäre des Zerbrechlichen, mit der alles beginnt, sich dann schon verflüchtigt hätte.
    Dabei liebe ich sie doch so sehr.
    Schon am Morgen, als ich gerade dabei war, den exzessiven Gebrauch von Wimperntusche zu korrigieren, hatte ich die Klage aus dem Fernseher gehört: »In den nächsten vierundzwanzig Stunden muss mit erheblichen Störungen gerechnet werden. Die Straßen werden komplett verstopft sein. Wer kann, sollte zu Hause bleiben. Wer unbedingt zur Schule oder zur Arbeit muss, sollte auf die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen. Besonders die Pendler sollten sich auf erhebliche Behinderungen einstellen«, und so weiter und so fort mit den Schreckensmeldungen. Schnee versetzt mich in eine derart euphorische Stimmung, dass mein Geist, als der Wetterbericht die nahe Katastrophe verkündete, schon in die entgegengesetzte Richtung flog. Und so verließ ich überstürzt das Haus und vergaß sowohl meinen Topfhut als auch den Regenschirm. Innerlich sah ich bereits, wie sich die Kinder auf dem Schulhof Schneeballschlachten lieferten und die Zweige die allerfeinste Hochzeitsspitze in den Himmel zauberten. Am Ziel angelangt war der Bürgersteig mit den Fußstapfen der Leute übersät, die sich nicht von den Warnungen des Wetterberichts hatten beeindrucken lassen. Das Ziffernblatt der Uhr gab mir noch fünf Minuten, um mich beschwingt und vor Ideen strotzend an meinem Schreibtisch niederzulassen.
    Leider kam es anders.
    Ich hatte die Zeichen nicht zu deuten gewusst, die kaum eine halbe Stunde später – als es längst zu spät war – in meinem Gehirn Gestalt annahmen und alarmierend blinkten. Wie viele Vorboten hatte ich ignoriert! Angefangen damit, dass mein Computerbildschirm schon seit Tagen eine gewisse Ungeduld gezeigt und wie Wackelpudding gezittert hatte, als wollte er mich vor einer drohenden Gefahr warnen. Dann war ich nicht zum letzten Strategiemeeting gebeten worden – der Sitzung, in der wir Rechenschaft darüber ablegen, wie wir uns in den kommenden fünf Tagen unser Gehalt zu verdienen gedenken, wobei es sich in Wahrheit um eine Kontrollinstanz für die Chefs und eine Bühne für die Narzissten handelt –, und das hätte mich wirklich stutzig machen sollen. Zu guter Letzt war mir die neue Leiterin des Digital Marketing – die hier nur gelandet ist, weil sie innerhalb von sechs Monaten einen Master an irgendeiner unbekannten amerikanischen Universität gemacht hat – seit Tagen aus dem Weg gegangen, mit Ausreden wie: »Mir rückt ständig dieser verrückte Kunde auf den Pelz, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie nervig das ist … Zeit für einen Kaffee? Wo denkst du hin!« Gerade erst gekommen und schon derart unter Druck? Nun ja, nur ein Blinder hätte aus der exzessiven Fürsorglichkeit der Kollegen vom Media Department nicht die kollektive Betroffenheit herausgelesen. Jetzt weiß ich natürlich, dass der zuckersüße Tonfall nichts mit dem bevorstehenden Weihnachtsfest zu tun hatte und auch nichts mit dem Bonus zum Jahresende oder einer Fortbildung zum Thema »Umgangston im Unternehmen« oder einer verspäteten Gewissensprüfung.
    Klarer Fall von Verlegenheit?
    Obwohl die Vorzeichen unübersehbar waren, ist mir nicht aufgefallen, dass sich um mich herum alles zu ändern begann,
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