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Im Café der moeglichen Traeume

Im Café der moeglichen Traeume

Titel: Im Café der moeglichen Traeume
Autoren: Paola Calvetti
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waren. Das historische Café, das seine Samtsofas und salbeigrünen Tische in einen unwiderstehlichen Weihnachtszauber getaucht hatte, war verlassen, wenn man einmal von zwei gestikulierenden Jugendlichen an einem der Tischchen und den ungeduldigen Zwillingen – nun konnte ich gut erkennen, dass sie einander wie ein Ei dem anderen glichen – mit ihrer Mama absah. Die schien die Kleinen mit Croissants, aus denen Creme herausquoll, vorläufig zum Schweigen gebracht zu haben.
    Zwei Kellner mit weißen Handschuhen waren in ein angeregtes Gespräch vertieft. Man schien nur auf mich zu warten, aber in meinem desolaten Zustand konnte ich ein solches Etablissement unmöglich betreten, um meinen Kummer in Kalorien zu ertränken. Nicht nur dass ich bis aufs Mark durchnässt war und meine Haare wirr herabhingen. Seit ich zum letzten Mal bestohlen worden war, trug ich bewusst nur noch Kleingeld mit mir herum und beschränkte den Inhalt des Portemonnaies auf das absolut Notwendige: den Personalausweis, die drei Briefchen von meiner Oma, die Bonuskarte vom Supermarkt und die beiden Polaroidfotos, von denen ich mich nie trenne. Mit einem derart abgespeckten Budget hätte ich mir in diesem Feinschmeckerparadies bestenfalls einen Cappuccino am Tresen leisten können.
    Bye, bye , Leute, vielleicht nächstes Mal!
    Als ich mich wieder auf den Weg machte, war mir die Reinheit der Schneedecke vollkommen egal. Ich musste vor allem den Karton schützen, daher hielt ich mich dicht an den Hauswänden. Ich bog um eine Ecke, merkte nicht, dass sich mein Absatz in einer Plastiktüte verfing, verlor das Gleichgewicht und ging zu Boden.
    Der Pappkarton war gerettet.
    Aber ich schämte mich wie ein Dieb.
    Wenn ich mich nicht so geziert und das Café betreten hätte, dann wäre das gar nicht passiert, und wenn diese Mistkerle mir nicht den Tag verdorben hätten, oder wenn ich gar nicht erst ins Büro gegangen, sondern unter der warmen Bettdecke geblieben wäre, wenn, wenn, wenn …
    Innerhalb weniger Sekunden war ich wieder auf den Beinen. Schnell klopfte ich mich ab und murmelte: »Nichts passiert, nichts passiert, mir ist nichts passiert«, aber es war sowieso niemand in der Nähe, und bei einem solchen Schnee musste man sich auch nicht schämen. Mein Herz raste, als ich schließlich weiterging. Tränen schossen mir in die Augen, mein Knie brannte, und ich war bis auf die Knochen durchnässt. Als mein Blick auf das bläulich blinkende WELCOME über einer Bar Tabacchi fiel, fühlte ich mich in meinem Elend höchstpersönlich angesprochen.
    Dieses »Willkommen« war das erste freundliche Wort des Tages.
    Seit den unerfreulichen Experimenten in meiner Jugend hatte ich nicht mehr an einer Zigarette gezogen, aber jetzt musste ich dringend die Kontrolle wiedererlangen, und nach allem, was man von außen erkennen konnte, schien diese bescheidene Bar Tabacchi der richtige Rückzugsort für eine verzweifelte Seele zu sein.
    Ich lugte durchs Schaufenster hinein und erblickte prompt mein Spiegelbild: ein Gespenst, das dringend etwas Warmes brauchte. Als ich die Tür mit dem Fuß aufschieben wollte, hielt sie mir ein Herr mit einem zufriedenen Lächeln auf und verbeugte sich. Wer sagt denn, dass in dieser Stadt keine Wunder mehr geschehen?
    Â»Willkommen« war nicht nur einfach so dahergeredet.
    Es war eine Botschaft.
    Ich trat ein.
    Der Barbesitzer hantierte mit Lottoscheinen. Über seinem kahlen Kopf, über den sich wie ein Haarreif eine vereinzelte Strähne zog, hing ein Schild, das für die Zeit zwischen 17:30 Uhr und 21:00 Uhr die HAPPY HOUR ankündigte. Neben den Lottoscheinen stand ein Teller Salzgebäck, das bei der Feuchtigkeit labbrig geworden war, und ein Glasgefäß voller Münzen. Ich fragte, ob ich nach oben gehen könne, aber Glatzkopf ließ sich nicht ablenken. Von seinem geistesabwesenden Schweigen ermuntert stieg ich zur Empore hinauf, wo eine Tapete mit violetten Blümchen auf braunem Grund für häusliche Gemütlichkeit sorgte. Ein Déjà-vu-Erlebnis. Ich hatte den Eindruck, schon einmal hier gewesen zu sein oder zumindest an einem sehr ähnlichen Ort, denn ich fühlte mich merkwürdig wohl – als würde ich ständig in irgendwelchen Bar Tabacchi herumhocken. Dieser Ort schien ein Glücksfall zu sein, nachdem der Tag auf die schlimmstmögliche Weise begonnen hatte. Über die altrosa
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