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Im Café der moeglichen Traeume

Im Café der moeglichen Traeume

Titel: Im Café der moeglichen Traeume
Autoren: Paola Calvetti
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nämlich wegen ihres Klangs und wegen des Geruchs, den sie evozieren. Die fixe Idee, angeblich altmodische Wörter auszumerzen, finde ich lächerlich. Und wenn die Sprache nicht geachtet wird, wie es bei B & P regelmäßig geschieht, geht mir das entschieden gegen den Strich.
    Eines Tages hatte ich folgenden Zettel über dem Fotokopierer entdeckt:
    Bei Anzeige Toner leer, Kopierer ausschalten, zuständigem Personal Bescheid geben und anderen Kopierer benutzen.
    Arghhh!
    Es wäre sinnlos gewesen, den Zettel zu ergänzen, ihn neu auszudrucken und den Ungebildeten der Etage zu erklären, dass es mein Sprachempfinden beleidigt, wenn man ohne Not wichtige Satzteile weglässt. Man hätte meine Bestürzung gar nicht verstanden. Fortan kopierte ich also mit gesenktem Blick und achtete gar nicht mehr auf Dinge, die sowieso nur mich störten.
    Während die Witch noch ihre Flüche ausstieß über die schlimmste Krise, die die Wirtschaftwelt je gegeißelt hat, fühlte ich mich wie ein Zug, dessen Strecke wegen des drastischen, unerklärlichen, aber irreversiblen Rückgangs der Passagierzahlen stillgelegt worden war. Unerklärlich war die Sache allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt. Immerhin waren in den letzten Wochen bereits sieben Profile »stillgelegt« worden, alle zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig Jahre alt. Aus was für einer mysteriösen Anwandlung von Großzügigkeit heraus hätte man ausgerechnet mich verschonen sollen? Trotzdem hatte ich kaum einen Gedanken daran verschwendet und auch nicht die Ohren gespitzt, um mitzubekommen, was auf den Fluren so getratscht wurde. Vogel-Strauß-Taktik, das ist mir jetzt auch klar, da am Bahnhof der Welt nur noch verrostete Gleise und vereinzelte, unbrauchbare Waggons zurückbleiben.
    Â»Der Geschäftsführer sieht sich gezwungen, massive Einschnitte bei den Kosten vorzunehmen. Leider müssen wir in dieser schwierigen Umstrukturierungsphase einige Stellen streichen …« Und so weiter und so fort.
    Nach der Einleitung hörte ich gar nicht mehr zu. Der Geschäftsführer, der meine persönliche Lebensstrecke stillzulegen beschlossen hatte, ist derselbe Mann, der stets, wenn er einem Mitarbeiter über den Weg läuft, wie Willi der Koyote grinst und triumphierend den Daumen reckt. »Ein Team, eine Vision«, lautet sein Lieblingssatz, die aktualisierte Version von »Einer für alle – alle für einen«. Leider hat er trotz der Koteletten und des grau melierten Spitzbarts nicht im Entferntesten die Ausstrahlung von Athos, Portos oder Aramis, vom überwältigenden D’Artagnan ganz zu schweigen. Mit meinem direkten Vorgesetzten, dem Kommunikationschef von Breston & Partners, einem aufstiegsorientierten Vierundvierzigjährigen namens Todd, war ich kein Stück besser bedient. Ich brauche Musik, Kino und Literatur, während er ausschließlich von Geld redet. Er schätzt Kunden in Hinblick auf ihre Bedeutung fürs Budget, während ich Kunden liebe, die nicht genau wissen, was sie wollen. Er ist wortkarg, ich rede wie ein Wasserfall. Wo er sich vornehm zurückhält, geht mit mir gelegentlich mein Temperament durch. Zwei unversöhnliche Welten also. Von Natur aus unfähig selbständig Entscheidungen zu treffen, ist Todd, der vor einem Jahr mit der Gründung des TBD – »Groß müsst ihr denken, groß!« – erhebliche Illusionen geweckt hat, ein unverbesserlicher Konferenztyp. Als mir mal ein »Wie geht’s?« rausrutschte, hat er mich derart entgeistert angeschaut, als müsste er zur Beantwortung dieser Frage erst einmal ein Meeting einberufen. Macht er einen Fehler, ist immer jemand anders schuld, oder er beruft sich auf seine Standardausrede, dass ihn der Art Director darum gebeten habe.
    Trotz aller Zwischentöne war die Botschaft der Witch in jedem Fall klar: Pack so schnell wie möglich deine Sachen, und mach hier bloß kein Theater.
    Ich hätte etwas stammeln, hätte Protest anmelden oder sie mit Fragen bombardieren können.
    Ich hätte sie umbringen können.
    Wenn dich jemand, der im Organigramm etliche Kästchen über dir steht, nicht leiden kann, ist Protest allerdings eine rein akademische Übung. Die Witch, die ihre unförmige Figur in Hosenanzügen versteckt – pastellfarben im Sommer, grau oder schwarz in Herbst und Winter –, ist eine Signora unbestimmten Alters,
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