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Im Auge des Orkans

Im Auge des Orkans

Titel: Im Auge des Orkans
Autoren: Marcia Muller
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Aussehen entsetzt
war, freute ich mich doch, sie zu sehen. Weil sie mich darum bat, zeigte ich
ihr kurz das Erdbebenhäuschen, das ich noch nicht vollständig renoviert hatte.
Nach vom hinaus ein Wohnzimmer (selten benützt, mit einem gefliesten Kamin),
dann ein Schlafzimmer (mit einem Quilt, den sie mir für das Bett gemacht
hatte), ein Eßzimmer (voller Farbtöpfe und anderer Utensilien) und die pikfein
renovierte Küche und das Bad. Sie war von allem auf eine künstliche,
geschwätzige Art begeistert, und ich wollte schon zu ihr sagen: »Hör auf, du
redest mit deiner Schwester und nicht mit irgendeiner Fremden auf einer
Cocktailparty«, als ihr Blick auf das halbvergessene Weinglas in meiner Hand
fiel.
    »Oh, Wein!« rief sie. »Kann ich auch
welchen haben?«
    Soviel zu Patsys Hang zur Vollwertkost.
    Ich holte den Wein, und wir setzten uns
auf die Terrasse. Es war ein sonniger Nachmittag, für Februar sehr warm, und
alle Dinge hatten scharf umgrenzte Umrisse, weil der gefallene Regen die Luft
gesäubert hatte. Einen Augenblick lang spürte auch ich die Schönheit des Tages,
und ich hob den Blick zum Himmel über den Fichten hinter dem Garten. Lächelnd
toastete ich Patsy zu und sagte: »Auf unser Wiedersehen!«
    Sie hob ebenfalls das Glas, trank einen
Schluck, und nach kurzem Zögern noch einen zweiten.
    Mein Gott, sie ist in einer noch
schlimmeren Verfassung als ich, dachte ich. Mir merkt man meine Unzufriedenheit
äußerlich noch nicht an, aber ihr steht sie deutlich ins Gesicht geschrieben.
Vielleicht hatte sie sich deshalb in den letzten sechs Monaten nicht gerührt.
Mir war es gar nicht besonders aufgefallen, weil ich mit meinen eigenen
Problemen so beschäftigt gewesen war. Früher hatte sie mich hin und wieder
angerufen oder einmal eine Postkarte geschrieben. Doch letzte Weihnachten hatte
ich kein Päckchen bekommen, und für meine Geschenke hatten sich weder die
Kinder noch sie selbst bedankt. Vielleicht, dachte ich, hätte ich mich um meine
kleine Schwester mehr kümmern müssen...
    Jetzt stellte sie das Glas ab und
blickte sich mit unruhigen Augen um. Die alte Patsy hatte lange in ihre eigenen
Gedanken versunken dasitzen können, ohne daß man das Gefühl hatte, sie brütete
über irgend etwas. Doch jetzt wirkte sie, obwohl sie schwieg, angespannt und
nervös. Ihre Finger spielten mit der Tischkante, und sie sah auf keinen Fall
wie eine Frau aus, die verliebt ist, wie sie mir am Vortag am Telefon erzählt
hatte. Sie hatte die Liebe ihres Lebens getroffen und war sehr, sehr glücklich.
    »Wie geht es den Kindern?« fragte ich
nach einer Weile des Schweigens. Sie hatte drei, jedes von einem anderen Mann.
Keinen von ihnen hatte sie geheiratet.
    »Gut. Sie wachsen. Du würdest sie nicht
wiedererkennen.«
    Ich dachte, sie würde mir jetzt ihre
Fotos zeigen, aber sie machte keine Anstalten, Bilder hervorzuholen. »Und die
Farm — gedeiht sie wie eh und je?«
    »Ich hab sie verkauft.«
    Das überraschte mich noch mehr als ihr
Aussehen. Patsy hatte seit Ende der siebziger Jahre auf einer Farm bei Ukiah
gelebt und sie zu einem ertragreichen Unternehmen gemacht. »Wo wohnst du denn
jetzt?«
    »Im Delta, auf einer Insel namens
Appleby Island. Evans — meine neue Liebe, Evans Newhouse — und ich wollen mit
noch ein paar anderen Leuten ein Bootel aufmachen.«
    Das war mir beinahe zuviel. »Was
aufmachen?« fragte ich entgeistert.
    »Ein Bootel. Wo Leute Zimmer mit Frühstück
haben können oder auf ihrem Boot bleiben und nur zum Essen — was ist los?«
    Als sie »Zimmer mit Frühstück« sagte,
hatte ich unwillkürlich die Nase gerümpft. »Ach. Don und ich waren vor ein paar
Monaten mal in so einem Etablissement.«
    »Es gefiel dir nicht?«
    »Nicht besonders. Man war nie für sich.
Es gab nur Etagentoiletten, und die Leute versuchten immer, einem einen Sherry
aufzudrängen, wenn man durch die Halle kam. Abends lag ein Stück alte
Schokolade auf dem Kopfkissen.«
    »Aha.« Sie sah nachdenklich aus, als
wollte sie sich meine Beschwerden für später merken. »Nun, bei uns wird es
anders sein. Eigentlich ist es mehr ein Hotel mit einem guten Restaurant. Evans
wird der Chef sein.«
    »Wissen Ma und Pa Bescheid?«
    Sie verzog ärgerlich den Mund. »Ich
habe es ihnen noch nicht erzählt.«
    Natürlich nicht. Sonst hätte mich
unsere Mutter längst angerufen. »Warum nicht?«
    »Ich möchte noch etwas warten, bis der
Laden läuft.«
    »Ich soll es also auch nicht verraten?«
    »Bitte, nicht.«
    »Okay.« Es war
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