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Im Auge des Orkans

Im Auge des Orkans

Titel: Im Auge des Orkans
Autoren: Marcia Muller
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anderen Sumpf mit Binsen und tote Wasserarme. Der Wind
war stärker geworden und rüttelte in den Zweigen der Platanen und Eukalyptusbäume
am Straßenrand. Rindenstücke flogen gegen die Windschutzscheibe, eines verfing sich
kurz unter dem Scheibenwischer und blockierte mir die Sicht. In der Ferne
erkannte ich die turmartige Konstruktion einer Zugbrücke, die von einem über
den wolkenverhangenen Himmel zuckenden Blitz kurz beleuchtet wurde. Und dann
kam der Regen — zuerst nur ein feines Prasseln, dann schüttete es, als würde
man das Wasser eimerweise gegen die Windschutzscheibe gießen.
    Ich packte das Lenkrad fester, während
der Wind den kleinen Wagen heftig durchrüttelte. Ich schaltete das Fernlicht
ein.
    Das Terrain fiel zu beiden Seiten der
Straße gefährlich steil ab. Die regenglatte dunkle Fahrbahn schien sich in der
Ferne zu verlieren. Dann kam eine Kurve, und ich mußte heftig bremsen, um nicht
in das unruhige Wasser des Wasserarms zu gleiten. »Verdammt!« sagte ich laut.
Es klang ein wenig kärglich. Konnte man mir das verdenken? Was hatte ich hier
eigentlich zu suchen? Bevor Patsy heute mittag bei mir aufgetaucht war, hatte
ich mich auf ein ruhiges Wochenende und den bevorstehenden Urlaub gefreut. Und
nun fuhr ich auf einer stockdunklen Straße durch heftigen Regen und Sturm, nur
weil meine bisher so vernünftige Schwester sich von ein paar unbedeutenden und
wahrscheinlich harmlosen Vorfällen hatte erschrecken lassen.
    Gewöhnlich werde ich beim Fahren nie
nervös, aber das Schleudern in der Kurve und das Trommeln des Regens auf Dach
und Kühlerhaube des MGs hatten mich ziemlich nervös gemacht. Ich fuhr langsamer
und schaltete die Deckenbeleuchtung an, um einen Blick auf die Wegbeschreibung
zu werfen, die Patsy gezeichnet hatte. Bald würde ich eine Straßenkreuzung mit
rotem Stopplicht erreichen, wo links eine Zugbrücke über den Sacramento River
führte, Richtung Rio Vista. Ich sollte geradeaus weiterfahren.
    Kurz darauf blinkte tatsächlich das
Rotlicht auf, dann konnte ich die Umrisse der Brücke erkennen und weiter
dahinter die Lichter der Stadt. Die Straße vor mir war wieder nur ein dunkler
Tunnel. Obwohl kein anderes Auto in Sicht war, bremste ich, schaltete in den
ersten Gang und fuhr — nach einem sehnsüchtigen Blick auf die Brücke — geradeaus
weiter.
    Nach etwa fünf Minuten ließ der Regen
nach. Ich begann, mich etwas zu beunruhigen, als plötzlich nur ein paar Meter
vor den Stoßstangen des Wagens ein schattenhafter Umriß auftauchte. Ein Paar
Rücklichter blinzelten schwach. Ich mußte heftig bremsen, um nicht einen alten
Pritschenwagen zu rammen.
    Der Wagen fuhr kaum mehr als dreißig
Kilometer. Da die Sicht gleich Null war, konnte ich unmöglich überholen. Der
Fahrer mußte mich bemerkt haben, aber er beschleunigte nicht. Ein paar Minuten
war ich wütend, dann fand ich mich damit ab, langsam fahren zu müssen. Es gab
Schlimmeres, als auf einer unbekannten Straße langsam hinter einem Paar
Schlußlichter herzufahren. Nach einer ganzen Weile bog der Kleinlaster
plötzlich links ein, ohne Zeichen zu geben oder zu bremsen. Fast wäre ich
wieder in ihn hineingeschlittert. Der Wagen verschwand in einer mit Unkraut
bewachsenen Nebenstraße.
    Ich holte tief Luft und fuhr weiter.
Trotz des Beinahe-Zusammenstoßes fühlte ich mich weniger angespannt als zuvor.
Bald hörte der Regen auf, die Sicht besserte sich, und ich konnte schneller
fahren. Ich passierte Isleton, eine kleine Stadt hinter dem Deich, und Schilder
mit pittoresken Delta-Namen tauchten auf: Porkpie, Snodgrass Slough, Dead Horse
Island. Als ich eines mit Hermit’s Slough entdeckte, fuhr ich langsamer und
hielt nach der Abzweigung zur Fähre nach Appleby Island Ausschau. Es handelte
sich um ein Privatunternehmen, wie Patsy mir erzählt hatte, die Familie, der
die Insel einst gehört hatte, hatte die Fähre in jenen Tagen eingesetzt, als
das Bauen von Brücken in dieser Gegend sowohl unpraktisch wie unbekannt gewesen
war. Obwohl heute eine veraltete Form des Transports, hatte man sie an Ort und
Stelle gelassen — zusammen mit einer Handvoll anderer im Delta — , und sie
bildeten den einzigen Zugang zur Insel.
    Die Straße, die zur Landestelle führte,
tauchte ziemlich rasch auf, gekennzeichnet durch ein verwittertes hölzernes Straßenzeichen
mit altmodischer Schrift, auf das jemand in großen Buchstaben auch noch
LIEFERUNGEN geschrieben hatte. Wieso Lieferungen? überlegte ich. Ja, natürlich,
sie renovierten das
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