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Im Auge des Orkans

Im Auge des Orkans

Titel: Im Auge des Orkans
Autoren: Marcia Muller
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nichts Ungewöhnliches,
daß ich meine Kenntnisse über Patsys Aktivitäten vor der restlichen Familie
geheimhielt. Patsy war ihr zwar nicht entfremdet, aber sie stand auch nicht auf
vertrautem Fuß mit ihr. Ich war die einzige, mit der sie je richtig hatte
sprechen können.
    Mit fünfzehn war sie von zu Hause
fortgelaufen. Als unser Vater sie schließlich fand — hier in San Francisco — ,
lebte sie in einer Kommune, arbeitete als Kellnerin und war schwanger.
Vielleicht hätte ein anderer Vater seine Tochter gezwungen, zurückzukommen,
doch Pa erkannte nach einiger Zeit, die er mit ihr verbrachte, daß mit ihr
alles in Ordnung und sie so vielleicht viel besser dran war.
    Und so war es tatsächlich: Sie hatte
genug Geld zusammenkratzen können, um ihr Land zu kaufen und sich als Bäuerin
und Näherin darauf niederzulassen, und zog fröhliche, gesunde Kinder auf von
Vätern, mit denen sie auch später noch freundschaftlich verkehrte. Die Familie
konnte nicht verstehen, warum sie nicht zurückkehrte, warum sie nicht heiraten
wollte und so ein Außenseiterdasein führte. Auch ich, die ich sie am besten
kannte, wußte nicht, was sie so früh von zu Hause fortgetrieben hatte, aber ich
spürte, daß es mit einem tiefverwurzelten Freiheitsdrang zusammenhängen mußte.
    Doch jetzt wollte sie nicht mehr auf
sich allein gestellt sein. Wegen ihrer neuen Liebe hatte sie alles aufgegeben,
wofür sie gekämpft hatte, hatte die Farm verkauft und war weggezogen. Sie hatte
sich in ein riskantes geschäftliches Unternehmen eingelassen, ihr Aussehen
verändert, ja fast ihre Persönlichkeit geändert. Ein Bootel im Delta mußte für
einen unabhängigen und abenteuerlustigen Menschen wie Patsy wie der vollkommene
Traum klingen. Aber ich fragte mich, ob sie ihren eigenen Traum verwirklichen
wollte — oder den von Evans. Plötzlich hatte ich ein wenig Angst um sie. Mein
rasches Einverständnis, der Familie nichts zu verraten, schien sie etwas
beruhigt zu haben. Sie beugte sich vor und sagte: »Ich möchte nicht, daß die
Familie denkt, ich sei ein Versager. Du weißt, wie sie sich beim Kauf der Farm
aufführte. Diesmal werden sie richtig stolz auf mich sein können.«
    Ich wußte gar nicht, daß ihr dies so
wichtig war. »Nur keine Angst«, sagte ich. »Wir warten ab und überraschen sie
mit deinem Erfolg.« Und dann fügte ich hinzu. »Jetzt erzähl mir von Evans.«
    Da sah sie plötzlich tatsächlich aus
wie eine Frau, die liebt. Ihre Wangen röteten sich, und sie lächelte. »Evans
ist wunderbar. Er sieht gut aus, ist intelligent und begabt und versteht sich
mit den Kindern. Er ist gerade vierzig geworden und arbeitet seit zehn Jahren
als Küchenchef. Er hat in Paris bei Spitzenleuten gelernt.«
    »Wo hast du ihn kennengelernt?«
    »In einer Sushi-Bar in Ukiah, in der er
arbeitete. Ich war mit den Kindern dort, und er hat ihnen besondere kleine
Sachen vorgesetzt, und wir haben uns unterhalten.«
    Eine Sushi-Bar in Ukiah klang nicht
gerade nach einem Ort, wo eine Küchengröße, die in Paris gelernt hatte,
arbeitete. »Stammt er aus Ukiah?«
    »Nein, aus Michigan, aus einem der
feinen Vororte im Norden von Detroit.«
    »Seine Familie hat also Geld?«
    »Einen Haufen.«
    Das war gut. Dann war er also nicht
hinter ihrem Geld her. »Natürlich haben sie ihn enterbt«, fügte sie hinzu,
»nachdem er aus der juristischen Fakultät von Yale flog.«
    »Aha!«
    »Evans interessiert so was ganz und gar
nicht«, sagte Patsy hastig. »Ihn interessiert nur Kochen. Du solltest die Pläne
für das neue Restaurant sehen. Es wird genauso sein, wie er es sich immer
erträumt hat.«
    »Baut ihr ein ganz neues Hotel?«
    »Nein, wir haben ein altes Herrenhaus
gekauft, eigentlich eine ganze Insel. Wir renovieren alles — ich meine, das
Herrenhaus.«
    »Und wie heißt sie noch mal?«
    »Appleby Island bei Walnut Grove. Das
Haus wurde in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts von einem der
reichen Gutsherren erbaut. Er machte ein Vermögen in Birnen, und die ganze,
vierzehn Hektar große Insel ist mit alten, verwilderten Birnbäumen bestanden.
William Appleby, der das Herrenhaus erbaute, wurde reich und kaufte im ganzen
Delta Obstland auf, aber in den zwanziger Jahren brach der Birnenmarkt zusammen
und seine Erben mußten fast alles verkaufen. Nur diese Insel mit dem Herrenhaus
konnten sie behalten, aber sie haben beides nicht sehr gepflegt. Deshalb konnte
Neal das Ganze zu einem vernünftigen Preis erwerben.«
    »Wer ist Neal?«
    »Der Mann, der
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