Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Idol

Idol

Titel: Idol
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
Die er übrigens selbst erhärtet hat, als er im Verhör bestätigte, von Alfredos »Liebschaft« mit einer Zofe |462| aus dem Palazzo Cavalli zu wissen. Und dieser Tropf brüstet sich noch, mich überlistet zu haben!
    Im Besitz dieses unwiderlegbaren Beweisstücks befahl ich, die Garde zu bewaffnen, den Palazzo Contarini zu umzingeln und unsere
     Kanone – die einzige, die wir besaßen – auf ihn zu richten. Danach schickte ich einen berittenen Boten mit einer Kopie des
     verräterischen Schreibens nach Venedig. Am folgenden Tag, gegen sieben Uhr abends, erschien der berühmte Avogador Bragadina
     mit dem Befehl, alle festzunehmen, tot oder lebendig.
    Da die Belagerten nicht kapitulieren wollten, gebrauchten wir unsere Kanone: die Mauern stürzten ein, und Lodovico mußte sich
     ergeben.
    Er tat es auf seine Art, das heißt wie ein auf seine Wirkung bedachter Schauspieler. Allein erschien er auf der Schwelle des
     Palazzo, braun gekleidet, den Degen an der Seite, den Mantel elegant über den Arm geschlagen.
    Er wurde zum Stadthaus geführt, wo man ihm den Degen abnahm, während man noch auf meine Ankunft wartete. Lässig an eine Säule
     gelehnt, hatte er begonnen, sich mit einer kleinen Schere die Nägel zu pflegen. Ich überraschte ihn in dieser affektierten
     Haltung: Er steckte die Schere in sein Wams zurück, würdigte mich in Ansehen meines Amtes eines gemessenen Grußes, entschuldigte
     sich höflich, mir so viele Ungelegenheiten zu bereiten, und bat mich, ihn an einem Ort unterzubringen, der seiner vornehmen
     Geburt gemäß sei. Im übrigen bekundete er seine Unzufriedenheit mit der Zelle, die ich ihm zuwies, verlangte Schreibzeug und
     setzte einen langen Brief an die Serenissima mit der Forderung auf, einem Manne wie ihm – der Graf, Fürst und ein Orsini ist
     – die Schande der öffentlichen Folter zu ersparen. Seinem Verlangen wurde entsprochen: nach Recht und Gesetz wurde er in seiner
     Zelle mit einer roten Seidenschnur erdrosselt.
    Noch in seinen letzten Minuten trug er eine vorgetäuschte Tapferkeit zur Schau. Es war, als trüge er Maske und Kothurne und
     spiele eine Rolle auf dem Theater. Man hätte ihm gern die Maske heruntergerissen, um zu sehen, was sich dahinter verbarg:
     vermutlich nur ein kleiner Junge voller Todesangst.
    Ein einziges Mal nur verließen ihn seine Sicherheit und sein Hochmut. Ich hatte Marcello Accoramboni gefragt, ob er der |463| Hinrichtung des Mörders seiner Schwester beiwohnen wolle. Zu meiner großen Überraschung war er trotz seines Zustands dazu
     bereit und erschien, bleich und mitgenommen, von seinen Dienern gestützt, in ebendem Augenblick, da sich Graf Lodovico gnädig-herablassend
     anschickte, den Befehlen des Henkers Folge zu leisten, und zu diesem sagte:
    »Ist es so recht, Signore? Seid Ihr mit mir zufrieden?«
    Ich fragte Marcello Accoramboni, ob er dem Verurteilten noch etwas zu sagen habe.
    »Ja«, sagte er mit erstickter Stimme.
    Er starrte den Grafen mit seinen fiebrigen Augen an und fügte mit leiser, aber deutlich vernehmbarer Stimme hinzu:
    »Herr Graf, in meinen Augen seid Ihr der verabscheuungswürdigste kleine Wurm, dem Gott je gestattet hat, über die Erde zu
     kriechen. Da aber meine Schwester Euch vergeben hat, will auch ich Euch vergeben.«
    Der Graf erbleichte und öffnete schon den Mund zu einer Antwort, besann sich dann eines Besseren – vermutlich, um seinen Schlußauftritt
     nicht durcheinanderzubringen –, drehte sich zum Henker um und sagte mit gewinnendem Lächeln:
    »Ich bin bereit, Signore.«
    Der Henker legte ihm die rote Kordel um den Hals, und während er sie mit dem Knebel zusammendrehte, murmelte Lodovico: »Jesus,
     Jesus, Jesus.« Diese Worte hatte er wohl gewählt, um seinen Exitus würdig zu umrahmen, denn sein ganzes Leben lang war er
     ein sehr schlechter Christ gewesen.
    Die Schnur zerriß, doch der Graf hatte bereits das Bewußtsein verloren, so daß er gar nicht merkte, wie ihm eine zweite Schnur
     um den Hals gelegt wurde. Als der Bargello dem Henker vorwarf, den Knebel zu schnell gedreht zu haben, antwortete dieser:
    »Es ist wahr, Signor Bargello, ich wollte schnell fertig werden – sein albernes Getue ging mir auf die Nerven!«
    Von dem zahlreichen Gefolge des Grafen Lodovico wurden nur drei Mann verschont, die anderen einunddreißig wurden sämtlich
     verschiedenen Arten der Folter unterworfen. Das hatten die Richter gegen meinen Willen beschlossen, um den Pöbel zufriedenzustellen.
    Fünfzehn der Banditen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher