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Idol

Idol

Titel: Idol
Autoren: R Merle
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hatte. Er hat jetzt einen anderen Namen, doch vier Jahrhunderte sind über ihn hinweggegangen
     und haben ihm nichts anhaben können, nur seine Steine sind nachgedunkelt. Er hat nichts von einer venezianischen Villa. Karg
     und streng erhebt er sich am Wasser. Als ich ihn sah, vermochten nicht einmal die großen Magnolien am Uferweg sein Bild aufzuhellen,
     zumal sie gerade ihre Blüten verloren, die eine nach der anderen auf das Wellengekräusel des nebligen Sees fielen. Die Luft
     war mild, aber der Ort melancholisch.
    Dem Palast fehlte kein einziger Dachziegel. Wie traurig, sich sagen zu müssen, daß ein Haus die Menschen, die es bauten, so
     lange überdauert. Das Gegenteil wäre mir lieber gewesen: nur hier und da einzelne Säulenreste zu finden und, auf den Ruinen
     sitzend, Vittoria in ihrem langen Haar, mit einem Blick mir dankend, daß ich sie in meinem Buch gerecht und mitfühlend behandelt
     habe.

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    |8| DRAMATIS PERSONAE
    Diese Liste enthält die handelnden Personen und die Zeugen unserer Geschichte in der Reihenfolge ihres Auftretens.
     
Monsignore Rossellino
(il bello muto)
Giulietta Accoramboni
Seine Eminenz Kardinal Cherubi
Caterina Acquaviva
Marcello Accoramboni
Aziza
Raimondo Orsini
(il bruto)
Pfarrer Racasi
Lodovico Orsini, Graf von Oppedo
Paolo Giordano Orsini, Herzog von Bracciano
Gian Battista Della Pace, Bargello della Corte
Domenico Acquaviva
(il mancino)
Seine Exzellenz Luigi Portici, Gouverneur von Rom
Alfredo Colombani, Reitknecht von Raimondo und Lodovico Orsini
Seine Eminenz Kardinal di Medici
Ehrwürden Luigi Palestrino, Theologe
Seine Exzellenz Armando Veniero, Botschafter Venedigs in Rom
Giuseppe Giacobbe, Vorsteher des römischen Gettos
Giordano Baldoni, Majordomus des Fürsten Orsini
Baldassare Tondini, Podestà von Padua

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    |9| KAPITEL I
    Monsignore Rossellino (il bello muto
1
):
     
    Es war vor fünf Jahren – um genau zu sein, am 5. Dezember 1572 sieben Uhr morgens –, als ich die Treppe zum Vatikan emporstieg
     und dabei so unglücklich fiel, daß ich mit dem Hals auf eine Stufenkante aufschlug. Durch diesen Aufprall quetschte ich mir
     den Kehlkopf und wäre auf der Stelle erstickt, wenn nicht ein Bader in der Nähe gewesen wäre, der mir mit einer kleinen Schere
     die Kehle aufschnitt. Die Wunde verheilte, doch ich blieb stumm.
    Es gab zu jener Zeit nicht mehr als zehn Bader in Rom. Wenn nun die Vorsehung einen der geschicktesten Vertreter dieser Zunft
     meinen Weg so früh am Morgen kreuzen ließ, schloß ich daraus, daß die kaum glaubliche Abfolge der Ereignisse, die mein Leben
     fürderhin bestimmen sollten, ausdrücklich von ihr gewollt war: mein Sturz, die Kehlkopfquetschung, der Eingriff des Baders,
     meine Stummheit und meine Begegnung mit Kardinal Montalto.
    Vor diesem Unfall war ich einer der glänzendsten Kanzelredner der Ewigen Stadt. Meine Predigten, zu denen die vornehme Welt
     Roms herbeiströmte, trugen mir außer großem Ansehen auch die Gunst von Damen aus den höchsten Kreisen ein. Sie luden mich
     häufig in ihre Paläste, verwöhnten mich mit erlesenen Gerichten und umschmeichelten mich auf mancherlei Art, wobei sie nichts
     weiter von mir wollten, als daß ich mit meinem üblichen Feuereifer über die Qualen der Hölle oder die himmlischen Freuden
     zu ihnen spräche. In beiden Fällen gerieten sie in Verzückung, und ich war töricht genug, mir auf das Vergnügen, welches ich
     ihnen verschaffte, etwas einzubilden.
    Ich war damals achtundzwanzig Jahre alt und ein recht gutaussehender Mann, wenn man dem Gerede der Frauen meiner Familie Glauben
     schenken kann – es ist ja bekannt, wie sehr dieses irrationale Geschlecht
(tota mulier in ventro
2
)
den |10| Klatsch liebt. Obgleich ich einen keuschen Lebenswandel führte, erfüllte mich mein Aussehen mit Stolz, war ich mir doch bewußt,
     daß meine einnehmende körperliche Hülle die Ausstrahlungskraft meiner Beredsamkeit beträchtlich erhöhte.
    Im Garten der Contessa V. stand ein uralter Baum, in dessen Schatten die Contessa in der schönen Jahreszeit gern mit ihren
     Freundinnen saß, um mich zu hören. Ich erinnere mich, daß kleine Schweißperlen auf ihre schöne Stirn traten, wenn ich mit
     lauter Stimme – wiewohl mit allem gebotenen Takt – die Höllenqualen der Verdammten schilderte; sie saß mit halbgeöffneten
     Lippen, atmete schwer, und ihr Hals überzog sich mit purpurner Röte. Man hätte meinen können, sie überließ ihren kleinen Körper
     voller Wonne dem
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