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Idol

Idol

Titel: Idol
Autoren: R Merle
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offene Tafel hielt.
    Marcello, der keinen Geschmack an der Majolikaherstellung fand – wie übrigens auch an keiner anderen Arbeit –, folgte seiner
     Mutter nach Rom, gab sich als Adliger aus, trug Dolch und Degen, lernte fechten und schloß Freundschaft mit mancherlei zwielichtigen
     und hochrangigen Personen, die in seine zweifelhafte Schönheit vernarrt waren. Er pflegte auch die Freundschaft zu einer reichen
     Witwe, die seine Mutter hätte sein können und mit der er, wie mit seiner Mutter, häufig Streit hatte, vor allem wegen des
     Geldes, das er sich bei ihr borgte. Eigenartigerweise wagte niemand in Rom, je seinen Adel anzuzweifeln. Dazu muß man sagen,
     daß Marcello geradezu tollkühn war: wenn ihn auch nur der geringste mißbilligende Blick traf, zog er sofort den Degen. Im
     übrigen gab es unzählige falsche Adlige in der Ewigen Stadt.
    Diese kurze Darstellung mag verdeutlichen, daß zur Familie meines Onkels ebenso viele Engel wie Teufel gehörten. Die |17| Engel arbeiteten in Gubbio, die Teufel gaben in Rom das Geld aus. Und um der Wahrheit die Ehre zu geben: Vittoria gehörte
     weder zu den Engeln noch zu den Teufeln. Sie hatte von beiden etwas. Ich dagegen zählte nicht; und daran änderte sich auch
     nichts, nachdem mich Bernardo kurz vor seinem Tod noch adoptiert hatte. Die Superba widersetzte sich dieser Adoption nur deshalb
     nicht, weil die Interessen ihrer eigenen Kinder davon nicht berührt wurden: Bernardo hatte nur noch Schulden.
    Da ich in dieser Familie fast als einzige ein wenig gesunden Menschenverstand besitze, kommt es mir wohl zu, über Vittoria
     zu sprechen – wenn auch nicht frei von Haß und Liebe, denn ich liebe sie. Aber ich weigere mich, ihr die gleiche abgöttische
     Verehrung entgegenzubringen, die ihr von allen Seiten zuteil wird. Ich liebe dieses Mädchen, das selbst so wenig vernünftig
     ist, auf vernünftige Art.
    Was das Teuflische betrifft, so hatte Vittoria von der Superba das leidenschaftliche Temperament, den Charakter überhaupt
     und – bemerkbar nur für Menschen, die sie gut kannten – den scheuen Stolz geerbt. Auch ihre Schönheit verdankt sie der Mutter,
     die sie darin aber noch weit übertrifft. Denn ihre Güte, die ausschließlich vom Vater stammt, verleiht ihren Augen, ihren
     fein gezeichneten Lippen und ihren sanften Zügen einen höchst anrührenden Liebreiz. Das Innere hat das Äußere geformt. Ich
     wage vorauszusagen, daß das Alter ihr Gesicht nicht entstellen wird, wohingegen das Gesicht von Tarquinia mit den Jahren hart
     und wie aus Erz geworden ist.
    Vittoria ist groß und wohlgestalt, eine majestätische Erscheinung. Ihre großen blauen Augen sind von einem dichten Kranz schwarzer
     Wimpern gesäumt. Und was kaum glaubhaft scheint: ihr seidiges blondes Lockenhaar berührt, wenn sie es löst und den Kopf ein
     wenig nach hinten neigt, den Boden. In Gubbio konnte sie sich nicht auf der Straße zeigen, ohne daß die Leute – alte wie junge
     – sich ihr näherten, respektvoll
»col suo permesso, signorina«
1 sagten und mit den Fingerspitzen ehrerbietig ihr goldenes Vlies berührten.
    Diese Haarpracht, mit der sie, nackt, ihren herrlichen Körper verhüllen kann, erfordert so viel Pflege, wiegt so schwer, verursacht
     ihr so oft Kopfschmerzen und bringt sie, wenn sie sich |18| zu schnell dreht, so gefährlich aus dem Gleichgewicht, daß Vittoria immer wieder davon spricht, sie wenigstens bis zur Taille
     abzuschneiden. Ich bin die einzige, die dieses Vorhaben vernünftig findet, denn es ruft im Palazzo Rusticucci, auch bei der
     Dienerschaft, so große Bestürzung hervor, veranlaßt Tarquinia zu solch schrillen Entsetzensschreien und bereitet auch Bernardo
     – wenn er uns das in Gubbio zusammengekratzte Gold bringt – so offensichtlichen Kummer, daß Vittoria aus purer Gutmütigkeit
     resigniert und Sklavin ihrer eigenen Schönheit bleiben will.
    Vittoria war mit elf Jahren voll entwickelt und bereits mit dreizehn das, was sie heute ist: eine Frau, dazu berufen, die
     Welt und die Männer zu beherrschen. Wenn sich ein Römer bis nach Gubbio verirrte und herablassend fragte, was es denn in unserer
     kleinen Stadt zu sehen gebe, sagten die einen: den Herzogspalast, die anderen: den Palast des Rates; aber die am besten Bescheid
     wußten, antworteten: Vittoria Accoramboni. Und wenn der gute Mann das Glück hatte, sie auf der Straße zu sehen, ging ihm,
     in die Stadt der Päpste zurückgekehrt, der Mund über von begeisterten Lobeshymnen
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