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Idol

Idol

Titel: Idol
Autoren: R Merle
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den Hals zu binden. Am nächsten Tag zog Giacobbe im Morgengrauen mit seinen Söhnen
     und Neffen aus der Stadt.
    Nun ließ ich alle Stadttore schließen und lud den Grafen Lodovico vor Gericht. Er erschien mit seiner ganzen Truppe, und als
     die Sbirren nur ihn allein vorlassen wollten, drangen seine Leute gewaltsam ein und pflanzten sich gleichsam vor unserer Nase
     auf. Es waren ungefähr vierzig Bewaffnete, die von mir und den anderen Richtern nur durch ein Podium und den langen Tisch,
     hinter dem wir saßen, getrennt waren.
    |460| Ich flüsterte dem Bargello zu, er solle alle verfügbaren Sbirren in dem Raum hinter mir postieren, jedoch sollten sie erst
     eingreifen, wenn ich zweimal mit dem Hammer klopfe. Allerdings fragte ich mich, was meine braven Leute gegen solche tollkühnen
     Banditen jemals ausrichten könnten. Ich beschloß daher, den Grafen so lange wie möglich mit Samthandschuhen anzufassen.
    Er benahm sich von Anfang an sehr arrogant: es sei gegen die Ehre eines Mannes von seinem Rang, verhört zu werden, und er
     empfinde es als eine unerträgliche Beleidigung, in einer Sache, mit der er nichts zu schaffen habe, verdächtigt und beinahe
     wie ein Angeklagter behandelt zu werden.
    »Aber Herr Graf, ich habe Euch in dieser Sache nicht als Angeklagten, sondern als Zeugen geladen«, sagte ich milde. »Ich möchte
     zum Beispiel wissen, was Euer Reitknecht Alfredo Colombani zum Zeitpunkt des Massakers im Palazzo Cavalli zu suchen hatte.«
    »Wie mir zu Ohren gekommen ist, hatte er eine Liebschaft mit einer Zofe aus dem Palazzo. Aus diesem Grund ist er auch nicht
     mit uns nach Venedig gezogen.«
    »Habt Ihr die Kammerzofe je gesehen, Herr Graf?«
    »Nein.«
    »Sie behauptet, an dem bewußten Abend Euch und den Grafen Paganello im Palazzo Cavalli gesehen zu haben.«
    »Sie muß verrückt sein!«
    »Wohl möglich. Mir wurde berichtet, statt nach Venedig zu reiten, hättet Ihr mit Euern Freunden in jener Nacht in einer Schenke
     in Stra, unweit von Padua, gezecht.«
    »Richtig. Ist das ein Verbrechen?«
    »Ganz und gar nicht, Herr Graf. Nach meinen Informationen ist das Brustkreuz der Herzogin von Bracciano bei einem jüdischen
     Goldschmied gesehen worden. Wißt Ihr etwas darüber?«
    »Nein.«
    »Das ist sehr bedauerlich, denn der Jude ist geflohen, und wir fahnden nach ihm.«
    »Ich wünsche Euch, daß Ihr ihn findet.«
    »Vielen Dank, Herr Graf. Das ist alles. Wie Ihr seht, war es ganz harmlos. Ihr seid frei und könnt gehen – mit Euren Freunden.«
    »Darf ich auch die Stadt verlassen?«
    |461| »Noch nicht, Herr Graf. Die Schließung der Stadttore wurde von Venedig verfügt und kann erst auf seine Anweisung hin wieder
     aufgehoben werden.«
    »Darf ich dann wenigstens einen Boten mit diesem Brief zum Fürsten Virginio Orsini nach Florenz schicken?«
    »Gewiß, Herr Graf, unter der Bedingung, daß Ihr mir den Inhalt des Schreibens mitteilt.«
    »Bitte!« sagte er geringschätzig.
    Er ließ mir durch einen seiner Leute den Brief übergeben. Ich las ihn aufmerksam. Er war so belanglos, daß ich stutzig wurde.
    »Herr Graf, schreibt mir den Namen Eures Boten auf dieses Blatt«, sagte ich. »Ich werde Befehl geben, ihn passieren zu lassen.«
    Er schrieb den Namen auf und zog ab, und ich schickte umgehend den Bargello mit zwei klaren Befehlen zu den Sbirren: 1. den
     berittenen Boten passieren zu lassen; 2. ihn eine Meile hinter der Stadt festzunehmen und von Kopf bis Fuß, sein Pferd von
     der Mähne über den Sattel bis zu den Hufen der Hinterbeine gründlich zu durchsuchen.
    Diese Durchsuchung, die der Bargello persönlich vornahm, zeitigte das erhoffte Resultat. Im Wams des Boten fand man den mir
     bekannten harmlosen Brief, in seinem rechten Stiefel jedoch einen zweiten, kürzeren und sehr viel weniger harmlosen:
     
    »An den hochedlen Herrn Virginio Orsini
     
    Durchlauchtigster Herr,
    ich habe alles so ausgeführt, wie es vereinbart war. Man hat mich einigen Verdächtigungen ausgesetzt, aber ich habe den Podestà
     überlistet, so daß ich hier jetzt als makelloser Ehrenmann gelte.
    Ich habe die Sache persönlich erledigt. Schickt mir Männer und Geld. Ich bin ohne Mittel.
    Euer untertäniger Diener und Cousin,
    Lodovico Orsini«
     
    »Ich habe die Sache persönlich erledigt« – er prahlte noch damit, dieser Elende! Je öfter ich den Brief las, desto mehr empörte
     mich seine Dummheit und Niedertracht. Wie konnte er so etwas schreiben, obwohl er bereits »Verdächtigungen« ausgesetzt war?
    
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