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Idol

Idol

Titel: Idol
Autoren: R Merle
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zunächst mit beiden Händen den schweren Holzladen ausheben, der das Fenster
     von innen sicherte. Dann schob ich, was mir sehr schwerfiel, die beiden verrosteten Riegel zurück.
    Schließlich machte ich auf, und Alfredo kletterte im Nu aus der mondhellen Nacht in das dunkle Haus.
    »Komm«, flüsterte ich, »hier können wir nicht bleiben.«
    »Willst du denn dein Geschenk nicht sehen?« sagte er.
    »Nein, Alfredo, das sehe ich mir in meinem Zimmer beim Schein der Kerze an.«
    »Es glänzt so hell«, lachte er, »daß du keine Kerze brauchst!«
    Er tat, als krame er mit der Linken in seiner Tasche, und streckte mich im gleichen Moment mit der Rechten durch einen |452| fürchterlichen Nackenschlag zu Boden. Als ich wieder zu mir kam, hatte ich einen Knebel im Mund; die Hände waren mir hinter
     dem Rücken mit einem Strick gefesselt, dessen Ende er in der Hand hielt. Ich spürte, wie er mich auf die Füße stellte.
    »So, mein Püppchen, das wäre geschafft!« sagte er. »Der Türhüter ist erstochen, das Tor weit geöffnet, meine Freunde sind
     hier im Haus! Und jetzt beeil dich, du Hure! Ich will den Höhepunkt des Schauspiels im ersten Stock nicht versäumen.«
    Er schlug mich mit der flachen Hand auf den Rücken und trieb mich vor sich her die Treppe hinauf, und wenn ich zu schnell
     lief, zerrte er mich an dem Strick zurück.
    Auf den Stufen holten ihn zwei Soldaten ein, einer maskiert, der andere unter einer Kapuze verborgen, beide mit blutigen Dolchen
     in der Hand.
    »Warum läßt du das kleine Luder am Leben?« fragte der Maskierte. »Die anderen haben wir alle erledigt. Du kennst doch den
     Befehl!«
    »Das ist meine kleine Liebste!« sagte Alfredo lachend. »Sie hat mir aufgemacht, dafür darf sie ein bißchen länger leben. Ich
     heb sie mir zum Nachtisch auf.«
    Mit wieherndem Gelächter stürmten die beiden an uns vorbei die Stufen hinauf. An ihrem Benehmen merkte man, daß sie sehr jung
     waren. Ich weiß nicht, warum sie den Dolch noch in der Hand hatten, denn ihren Worten zufolge hätten sie ihn doch nicht mehr
     gebraucht. Vielleicht wollten sie mit dem Blut, das von den Klingen tropfte, vor ihren Kameraden prahlen.
    Ich taumelte weiter, immer noch wie benommen. Ich spürte keine Furcht. Das alles schien mich überhaupt nichts anzugehen.
    Im Vorsaal stießen wir auf eine Gruppe von etwa dreißig Soldaten, die alle in das Zimmer der Signora drängten. Lästerlich
     fluchend und mich vor sich herstoßend, bahnte Alfredo sich einen Weg durch die Menge, die weniger von seinen Verwünschungen
     als von meinem Erscheinen beeindruckt war; einige fragten wieder: »Warum läßt du das Luder am Leben?«, andere grapschten brutal
     nach meiner Brust, und keiner beklagte das Schicksal, das mich erwartete. In ihren Augen war ich schon tot, und der Aufschub,
     der mir gewährt wurde, erstaunte sie. Sie stanken nach Wein, Schweiß und Leder. Ich konnte erst wieder richtig atmen, als
     mich Alfredo ganz nach |453| vorn stieß. Dort stand die Signora in ihrem himmelblauen Nachtgewand, von einigen Männern umringt; ihr langes Haar fiel ihr
     bis zu den Fersen herab. Vor ihr befand sich das Betpult, an dem sie vermutlich beim Nachtgebet überrascht worden war. Sie
     hielt sich sehr gerade und bewahrte trotz der spärlichen Bekleidung ihre würdevolle Haltung.
    Ein hochgewachsener Edelmann, ebenfalls maskiert, stand ihr gegenüber.
    »Ich bin untröstlich, Signora«, sagte er mit zischender Stimme, »daß ich Euch beim Beten gestört habe. Doch dank unserem Zutun
     werdet Ihr von Euerm Betpult geradewegs in den Himmel auffahren.«
    Auch diese Verhöhnung brachte die Signora nicht aus der Fassung. Sie ließ ihre Blicke über die Soldaten wandern, die sie umringten.
     Einige waren auf das Bett gestiegen, um sich nichts entgehen zu lassen.
    »Braucht Ihr so viele Männer, um eine wehrlose Frau zu töten?« sagte sie.
    Der Edelmann, um eine Antwort verlegen und vielleicht sogar etwas beschämt, erwiderte nichts.
    »Wer seid Ihr, Signore?« fuhr die Signora fort. »Worin habe ich Euch unrecht getan?«
    »Mein Name sagt Euch nichts, Signora«, antwortete der Edelmann. »Doch da Ihr nicht mehr in der Lage sein werdet, ihn zu wiederholen,
     will ich ihn Euch nennen: ich bin Graf Paganello. Und Ihr habt nicht mir geschadet, sondern meinem Freund, dem Grafen Lodovico
     Orsini.«
    »Ich habe dem Grafen nicht geschadet«, rief die Signora laut. »Ich habe meine legitimen Rechte gegen ihn verteidigt.«
    »Wie dem auch sei – der
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