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Idol

Idol

Titel: Idol
Autoren: R Merle
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der Lage, etwas auszuplaudern.
     Als er den Leichnam seiner Schwester entdeckte, hatte er sich nämlich sein Messer mit aller Kraft ins Herz gestoßen. Doch
     die Klinge war an seinem dicken Lederwams, das er zum Schutz gegen die Kälte trug, abgerutscht; so hatte er |458| sich nur eine tiefe Schnittwunde zugefügt, die allerdings gefährlich genug war, um ihn im Hause der Signora Sorghini mit heftigem
     Fieber ans Bett zu fesseln.
    Unser Plan hatte glänzenden Erfolg. Zwei Tage später tauchte Graf Lodovico wieder in der Stadt auf, arroganter denn je und
     mit seinem römischen Adel prahlend, der freilich die Bürger der Repubblica Serenissima weder in Padua noch in Venedig beeindruckte.
    Wir ließen den Palazzo Contarini und jede Bewegung des Grafen Tag und Nacht überwachen. So erfuhren wir:
primo
, er war knapp bei Kasse und zahlte seine Miete nicht;
secundo
, er hatte mit einem Goldschmied Kontakt gehabt, einem gewissen Giuseppe Giacobbe, der auf der Durchreise in unserer Stadt
     weilte (er besuchte sie zwei- oder dreimal im Jahr). Noch bevor wir Giacobbe vorladen konnten, hatte er den Bargello bereits
     von sich aus um eine vertrauliche Unterredung gebeten. Der Bargello benachrichtigte mich, und wir empfingen den Mann nicht
     in der Corte, sondern gegen zehn Uhr abends im Hause des Bargello. Der Goldschmied erschien mit drei Söhnen und drei Neffen,
     die ihm großen Respekt entgegenbrachten und während der Unterredung stumm im Vorzimmer auf ihn warteten. Wollte Gott, meine,
     eigenen Söhne wären so wohlgeraten wie diese Judenkinder!
    Giuseppe Giacobbe zeigte mir zunächst seinen von Staatssekretär Kardinal Rusticucci unterzeichneten römischen Geleitbrief.
     Aus dem christlichen Namen, auf den man ihm dieses Dokument ausgestellt hatte, ersahen wir sofort, daß er – obwohl Jude –
     die Protektion des jetzigen Papstes genoß. Dieser Eindruck verstärkte sich im folgenden noch mehr. Wie er uns berichtete,
     hatte ihn das Getto mit der Anfertigung eines sehr wertvollen Brustkreuzes beauftragt, mit dem man dem Heiligen Vater für
     die Maßnahmen danken wollte, die er zum Wohle der jüdischen Gemeinde in Rom getroffen hatte. Der Papst hatte das Geschenk
     auch angenommen, allerdings erklärt, er selbst könne es nicht tragen, werde »es aber in seiner Familie belassen«; und tatsächlich
     habe er ihn, Giuseppe Giacobbe, einige Wochen später gebeten, es seiner Nichte, der Herzogin von Bracciano, im Palazzo Sforza
     am Gardasee zu überbringen. Nun aber habe ihm Graf Lodovico diesen Morgen zu seiner großen Überraschung besagtes Kreuz als
     Pfand für ein Darlehen |459| in Höhe von zwanzigtausend Dukaten ausgehändigt. Der Graf wisse offenbar nicht, daß er – Giacobbe – das Schmuckstück angefertigt
     habe und seine Geschichte kenne.
    Damit zog der Goldschmied unter seinem Mantel das Kreuz hervor, das der Bargello und ich bei der Ankunft der Herzogin an ihr
     bewundert hatten. Er legte es vorsichtig auf den Tisch, und wir betrachteten es eine Weile schweigend. Wer von der Schönheit
     dieses Kreuzes wie auch von dem unglücklichen Ende jener Frau, die es getragen, unberührt geblieben wäre, müßte wahrlich gefühllos
     genannt werden. Wir ließen Caterina Acquaviva wecken, um sie zu fragen, ob sie das Kreuz erkenne und bezeugen könne, daß es
     ihrer Herrin gehört hat. Die Kammerzofe erschien schließlich, noch schlaftrunken und nur spärlich bekleidet. Als sie das Kreuz
     erblickte, rief sie: »Mein Gott! O mein Gott! Meine arme Herrin!« und fing an zu schluchzen. Der Bargello fand den Beweis
     hinreichend und schickte sie mit ein paar beruhigenden Worten wieder zu Bett. Der Blick, mit dem seine Augen ihr folgten,
     als sie aus dem Zimmer ging, ließ darauf schließen, daß er sie nicht nur aus Güte bei sich aufgenommen hatte.
    Giacobbe legte uns noch eine von Lodovico Orsini, Graf von Oppedo, unterschriebene Urkunde vor, darin dieser bestätigte, er
     habe ein ihm gehörendes Brustkreuz (es folgte eine ausführliche Beschreibung) dem Goldschmied Giuseppe Giacobbe als Pfand
     für ein Darlehen von zwanzigtausend Dukaten überlassen. Giacobbe war bereit, bei meiner schriftlichen Zusicherung, daß ihm
     bei Zahlungsunfähigkeit des Grafen Lodovico die zwanzigtausend Dukaten von der Stadt Padua erstattet würden, uns das Kreuz
     und die Urkunde anzuvertrauen. Ich fertigte das Dokument aus, entließ Giacobbe und versprach ihm, wie er verlangte, erst nach
     seiner Abreise dem Grafen die Schelle um
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