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Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Titel: Ich wuenschte, ich koennte dich hassen
Autoren: Lucy Christopher
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dieser Zustand hätte nur ein oder zwei Tage gedauert. Mir kommt es vor, als wären es Wochen gewesen. Meine Augenlider waren geschwollen vom vielen Weinen. Ich versuchte mir zu überlegen, wie ich entkommen könnte, aber auch mein Gehirn war wie geschmolzen. Ich machte mich vertraut mit der Zimmerdecke, den rohen Wänden und dem hölzernen Fensterrahmen. Ich trank das braun verfärbte Wasser, das du mir hinstelltest; aber nur, wenn du es nicht sahst. Einmal knabberte ich auch ein paar Nüsse und Samen aus der Schale, die du mir gebracht hattest, wobei ich erst vorsichtig an ihnen leckte, falls sie vergiftet waren. Jedes Mal, wenn du hereinkamst, versuchtest du mit mir zu reden. Es verlief immer ähnlich.
    »Wie wär’s mit Waschen?«
    »Nein.«
    »Essen?«
    »Nein.«
    »Wasser? Du solltest Wasser trinken.«
    »Nein.«
    Dann war es eine Weile lang still, während du überlegtest, was ich sonst noch wollen könnte. »Möchtest du nach draußen?«
    »Nur, wenn du mich in eine Stadt bringst.«
    »Hier gibt’s keine Städte.«
    Einmal hast du das Zimmer nicht gleich wieder verlassen wie sonst. Seufzend bist zum Fenster gegangen. Ich sah, dass sich der Bluterguss rund um dein Auge verfärbt hatte; statt dunkelblau war er jetzt eklig gelb – das einzige Indiz für mich, dass Zeit vergangen war. Du blicktest mich an, die Stirn in tiefen Falten. Dann zerrtest du mit einer plötzlichen Bewegung die Vorhänge zurück. Licht strömte herein und ließ mich zurückzucken.
    »Lass uns rausgehen«, sagtest du. »Wir können uns das Land anschauen.«
    Ich wandte mich ab, vom Licht und von dir.
    »Hinten sieht es anders aus als vorne«, sagtest du. »Da gehen wir hin.«
    »Lässt du mich denn gehen, wohin ich will, dort hinten?«
    Du schütteltest den Kopf. »Es gibt nichts, wo du hinkönntest«, sagtest du. »Ich hab’s dir doch gesagt. Da ist überall Wildnis.«
    Am Ende hast du mich mürbegemacht. Ich habe genickt. Aber nicht, weil du wolltest, dass ich mitkam. Ich glaubte dir einfach nicht, dass es ringherum gar nichts gab. Da musste doch irgendwas sein; eine Stadt weit in der Ferne oder eine Straße, meinetwegen auch nur Stromkabel. Völlige Wildnis gibt es nirgends.
    Du löstest die Fesseln an meinen Füßen. Du wickeltest die Binden ab und drücktest mit der Hand gegen meine Fußsohlen. Ich erwartete, dass es brennen würde, aber das tat es nicht. Du untersuchtest auch mein Handgelenk. Über dem Schnitt hatte sich eine rotbraune Kruste gebildet und die Wunde blutete nicht mehr.
    Du wolltest mich vom Bett hochheben, doch ich stieß dich weg. Schon allein diese eine Bewegung brachte meinen Körper zum Zittern. Ich machte mich lang und versuchte, auf der anderen Seite aus dem Bett zu kommen.
    »Ich kann das alleine.«
    »Klar, hab ich vergessen«, sagtest du. »Schließlich hab ich dir nicht die Beine abgehackt.«
    Du lachtest leise über deinen Witz. Ich ignorierte ihn. Meine Beine zitterten dermaßen, dass mir schon das Aufstehen schwerfiel. Ich zwang mich, einen Schritt zu tun. Ein stechender Schmerz fuhr mir in den Fuß. Ich schluckte. Aber mir war klar, dass ich nicht bis in alle Ewigkeit hier in diesem Zimmer bleiben konnte.
    Du wandtest dich ab, während ich mir die Jeans überstreifte. Sie war frisch gewaschen und getrocknet, die Flecken vom Herumkriechen im Staub waren weg. Ich fühlte mich grässlich schwach, als ich das Zimmer verließ, und rechnete damit, jeden Moment umzukippen. Ich wünschte mir, ich hätte mehr gegessen. Ich lief den Gang entlang und du kamst hinter mir her. Deine Schritte machten nicht das geringste Geräusch, nicht einmal der Boden knarrte. Ich wandte mich zur Küche hin, aber du packtest mich am Arm. Deine Berührung ließ mich zusammenzucken und ich konnte dich nicht anschauen.
    »Da lang«, sagtest du.
    Ich schüttelte deine Finger ab und ließ Abstand zwischen uns. Du führtest mich durch den Wohnraum, wo die Vorhänge immer noch zugezogen waren, so dass ich blinzeln musste, um alles sehen zu können. Beim nächsten Schritt bohrte sich etwas in meinen Fuß. Schmerz schoss mein Bein hoch. Meine Augen wurden feucht, aber ich wischte die Tränen schnell weg, bevor du etwas merktest. Ich hob den Fuß und zog einen kleinen goldfarbenen Nagel heraus, wie man sie zum Aufhängen von Bildern benutzt. Ich fragte mich, was dieser Nagel hier machte, wo es doch gar keine Bilder zum Aufhängen gab.
    Wir gingen durch eine Art Vorbau zur andern Seite des Hauses. Ich blinzelte im grellen Licht, als du
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