Ich wuenschte, ich koennte dich hassen
Dort stand ein niedriges Feldbett an der Wand, mit einem wilden Haufen von Decken darauf. Daneben war ein Nachttisch, an der Wand gegenüber gab es einen Kleiderschrank und eine Holztruhe.
»Ich schlaf erst mal hier«, sagtest du und sahst mir dabei nicht in die Augen. Ich wich deinem Satz aus, der einfach so in der Luft hängenblieb.
Das Bad kannte ich schon. Die nächste Tür führte zu einem langen, begehbaren Schrank. Es war nicht viel drin außer einigen Besen, einem Wischmopp und ein paar Metallkisten. Ich folgte deiner Lampe durch die Tür gegenüber, in das letzte Zimmer, das vom Gang abging. Es war größer als dein Schlafraum, fast so groß wie das Zimmer, das du meines nanntest. Ganz am Ende standen ein Schrank und ein Lehnstuhl. Eine der Wände war über die gesamte Fläche mit Bücherregalen bedeckt, allerdings standen nicht gerade viele Bücher drin. Du machtest den Schrank auf und zeigtest mir die Spiele im untersten Fach: Uno, Cluedo, Monopoly, Twister . Es waren alles Spiele, die wir zu Hause hatten, Spiele, die ich mit Freunden gespielt hatte oder zusammen mit meinen Eltern an Weihnachten. Aber diese Spielschachteln waren so alt und verblichen, als stammten sie vom Kirchenbasar.
»Es gibt auch eine Nähmaschine und eine Gitarre … auch Sportsachen und so«, sagtest du.
Ich warf einen Blick auf die Bücher, die ordentlich in den Regalen aufgereiht waren. Im Licht der Petroleumlampe konnte ich nur ein paar wenige Titel lesen: Sturmhöhe, Der große Gatsby, David Copperfield, Herr der Fliegen … Bücher, die wir in der Schule durchgenommen hatten. Ich sah kein einziges aktuelles Buch, es waren alles Klassiker. Ich betrachtete das nächste Regal. Hier standen Naturführer und Sachbücher über die Pflanzen- und Tierwelt der Wüste, dazu ein paar Untersuchungen über Schlangen und so. Es gab auch Bücher über Seilknoten und über Felsen. Außerdem entdeckte ich ein Wörterbuch für die Sprachen der Aborigines. Während ich die Titel betrachtete, begriff ich etwas.
»Wir sind in Australien, stimmt’s?«
Ein lebhaftes Kopfnicken von dir. »Hat ganz schön gedauert, bis du’s kapiert hast«, fügtest du murmelnd hinzu.
Mir fiel wieder ein, wie du mich im Flughafen gefragt hattest, ob ich nicht lieber nach Australien wollte … und dann dein seltsamer Akzent. Jetzt ergab das alles Sinn. Abgesehen von der Tatsache, dass ich bei Australien immer an Strände und Buschland gedacht hatte und nicht an endlosen roten Sand. Trotzdem blitzte Hoffnung in mir auf, der Anflug eines Gefühls, dass am Ende alles gut ausgehen würde. Australien war ein zivilisiertes Land, mit Gerichten, Polizei und einer demokratischen Regierung. Es konnte gut sein, dass schon nach mir gesucht wurde, dass die Polizei überall nach mir fahndete. Vielleicht war das ganze Land in Alarmbereitschaft. Aber diese Hoffnung verlor sich schnell wieder. Du hattest mich aus Bangkok entführt. Wer sollte da auf die Idee kommen, mich in Australien zu suchen?
»Weiß jemand, dass ich hier bin?«, fragte ich.
»Nein. Niemand. Kein Mensch weiß, dass es uns überhaupt gibt. Wir sind mitten in der australischen Wüste. Es existiert nicht mal eine Karte von dieser Gegend.«
Ich zwang mich zu schlucken. »Gegenden, die nicht auf Landkarten sind, gibt’s doch gar nicht.«
»Diese hier schon.«
»Du lügst.«
»Ich lüge nicht.«
»Wie hast du mich dann herbringen können?«
»Im Kofferraum von meinem Auto. Hat eben eine Weile gedauert.«
»Ohne Landkarte?«
»Sag ich ja«, zischtest du, »hat eine Weile gedauert.«
»Daran würde ich mich doch erinnern.«
»Nein, dafür habe ich gesorgt.«
Darauf konnte ich nichts mehr sagen. Du schautest von mir weg und ich machte einen Schritt zurück. Mir fiel der seltsame Geruch in dem Lappen über meinem Gesicht wieder ein. Dieses verschwommene Rütteln und Schlingern, als ich in deinem Auto gewesen war. Die widerlich süße Schokolade. Ich versuchte noch mehr Erinnerungen hervorzukramen, aber ich schaffte es nicht. Ich schüttelte den Kopf, denn ich wollte mich in Wirklichkeit gar nicht erinnern. Ich machte noch einen Schritt zurück in die Dunkelheit und lehnte mich gegen das Bücherregal. In meinem Kopf drehte sich alles. Ich fragte mich, was du noch alles vor mir verbargst. Welche schrecklichen kleinen Geheimnisse du sonst noch hattest.
»Irgendwer muss dich gesehen haben.«
»Glaub ich kaum.«
»In den Flughäfen sind doch überall Kameras … wird doch alles überwacht
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