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Ich schreib dir morgen wieder

Titel: Ich schreib dir morgen wieder
Autoren: Cecilia Ahern
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eines auftauchte, war es ein heranbrausender Zug. Sie sahen keine andere Möglichkeit, keine andere Art, mit der Lage umzugehen. Meine Eltern waren vernünftige, praktische Menschen, und eine vernünftige, praktische Lösung war nicht im Angebot. Wenn mein Vater Vertrauen gehabt hätte, Zuversicht, irgendeine Art von Glauben, dann hätte er möglicherweise die Kraft gefunden, durch die Talsohle zu kommen. Aber davon besaß er nichts, und als er getan hat, was er getan hat, hat er uns letzten Endes mit sich in dieses Grab hinuntergezogen.
    Es fasziniert mich, dass der Tod, so dunkel und endgültig er ist, dennoch häufig so ein helles Licht auf den Charakter eines Menschen wirft. In den Wochen nach Dads Tod hörte ich endlose, rührende Geschichten über ihn. Doch so tröstlich sie waren, so gern ich mich in ihnen verlor, in mir gab es immer Zweifel, ob sie wahr waren. Dad war kein netter Mensch. Natürlich habe ich ihn geliebt, aber ich weiß, dass er kein wirklich guter Mensch war. Wenn wir miteinander geredet haben – was nicht sehr oft vorkam –, geschah das meist in der Form einer Auseinandersetzung. Oder er gab mir Geld, um mich abzuwimmeln. Dad war reizbar und aufbrausend, hat seine Mitmenschen eingeschüchtert und ihnen nur allzu gerne seine Meinung aufgedrückt. Er war ziemlich arrogant, und wenn er einen anderen Menschen dazu brachte, sich unbehaglich und minderwertig zu fühlen, genoss er das in vollen Zügen. Manchmal ließ er sein Steak im Restaurant drei- oder viermal zurückgehen, nur um zuzusehen, wie der Kellner ins Schwitzen geriet. Oder er bestellte eine Flasche vom teuersten Wein und ließ ihn dann unter dem Vorwand zurückgehen, er hätte Kork. Wenn es in unserer Straße eine Party gab, beschwerte er sich bei der Polizei wegen des Lärms und sorgte dafür, dass sie dem Treiben ein Ende machte – nur weil er nicht eingeladen worden war.
    Selbstverständlich erwähnte ich nichts davon auf seiner Beerdigung und auch nicht bei der kleinen Feier, die danach in unserem Haus stattfand. Genau genommen sagte ich überhaupt nichts. Ich trank ganz allein eine Flasche Rotwein und kotzte dann auf den Boden neben Dads Schreibtisch, genau auf die Stelle, wo er gestorben war. Dort fand Mum mich irgendwann und gab mir eine schallende Ohrfeige, weil sie meinte, ich hätte alles kaputtgemacht. Keine Ahnung, ob sie damit den Teppich oder die Erinnerung an Dad meinte, aber egal – ich war sicher, dass er beides ganz allein vermasselt hatte.
    Aber ich will nicht meinen ganzen Hass auf Dad abladen, ich war selber ein schrecklicher Mensch. Die schlimmste Tochter, die man sich vorstellen kann. Meine Eltern haben mir alles gegeben, und ich habe mich nie bedankt. Oder wenn ich es doch getan habe, dann kam es nicht von Herzen, denn ich wusste nicht wirklich, was Dankbarkeit bedeutet. »Danke« ist ein Zeichen der Wertschätzung. Mum und Dad haben mir ständig von den hungernden Babys in Afrika erzählt, weil sie glaubten, so könnten sie mich dazu bringen, für das, was ich besaß, Dankbarkeit zu empfinden. Rückblickend ist mir aber klargeworden, dass ich es wahrscheinlich am ehesten gelernt hätte, wenn sie mir nicht ständig alles gegeben hätten.
    Wir wohnten in einer modernen Villa mit sechshundertfünfzig Quadratmetern, sechs Schlafzimmern, einem Swimmingpool, einem Tennisplatz und einem Privatstrand in Killiney, in der Nähe von Dublin. Mein Zimmer lag auf der rückwärtigen Seite des Hauses und hatte einen Balkon mit Blick zum Strand, den ich mir, soweit ich mich erinnere, aber nie anschaute. Zum Zimmer gehörte eine eigene Dusche und ein Jacuzzi mit einem Plasmafernseher – TileVision, um genau zu sein – über der Wanne. Ich hatte einen Schrank voller Designerhandtaschen, einen Computer, eine Playstation und ein Himmelbett. Kurz gesagt, ich war ein Glückspilz.
    Aber als Tochter war ich der absolute Albtraum. Unhöflich, frech, verwöhnt ohne Ende. Und um alles noch schlimmer zu machen, nahm ich den ganzen Luxus für selbstverständlich. Ich ging blind davon aus, dass ich ihn verdiente, denn alle, die ich kannte, waren genauso reich. Keine Sekunde wäre mir in den Sinn gekommen, dass meine Bekannten das ganze Zeug vielleicht auch nicht wirklich verdient hatten.
    Um mich auch abends und nachts jederzeit mit meinen Freunden treffen zu können, hatte ich eine Methode entwickelt, mich unbemerkt aus meinem Zimmer zu schleichen. Ich kletterte von meinem Balkon an der Regenrinne aufs Dach des Swimmingpools
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