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Ich schreib dir morgen wieder

Titel: Ich schreib dir morgen wieder
Autoren: Cecilia Ahern
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das Wetter. Über das traurige Schicksal irgendeines armen Menschen auf der anderen Seite der Welt. Über ihre Freundin, die ein Stück die Straße runter wohnt und sich den Arm gebrochen hat. Über eine andere Freundin, deren Vater nur noch zwei Monate zu leben hat. Über die Tochter eines Bekannten, die irgendeinen Blödsack geheiratet hat, der sie jetzt mit dem zweiten Kind im Bauch sitzenlässt. Rosaleen liebt Untergangsszenarien, die sie unweigerlich mit einem Spruch über Gott vervollständigt, mit abgedroschenen Phrasen wie »mit Gottes Hilfe« oder »so Gott will« oder »Gott steh ihnen bei«. Nicht dass ich selbst so viel Wichtiges zu sagen hätte, aber jedes Mal, wenn ich bei ihren Geschichten nachhake und etwas Genaueres über einen dieser armen Menschen erfahren oder einem Problem auf den Grund gehen möchte, ist bei Rosaleen sofort der Ofen aus. Sie will nur darüber sprechen, wie traurig und schwierig alles ist, aber die Gründe, die zu der misslichen Lage geführt haben, interessieren sie nicht die Bohne. Genauso wenig wie die Frage, ob es eine Lösung für das geschilderte Problem gibt. So schnell sie kann, stopft sie mir mit ihren Gottphrasen den Mund und vermittelt mir das Gefühl, dass mein Kommentar unpassend ist und ich sowieso viel zu jung bin, um die Tragweite dessen, was sie erzählt, auch nur ansatzweise zu begreifen. Aber meiner Meinung nach ist es genau umgekehrt. Meiner Meinung nach redet sie nur über diese Dinge, damit sie nicht das Gefühl haben muss, dass sie vor solchen Themen kneift, aber sobald sie diesen Anspruch erfüllt hat, erwähnt sie kein Wort mehr davon.
    Von meinem Onkel Arthur habe ich in meinem ganzen Leben schätzungsweise fünf Worte gehört. Irgendwie kommt es mir vor, als hätte meine Mum ihr Leben lang für sie beide gesprochen – obwohl er ihre Ansichten ganz sicher nicht immer teilt. Zurzeit redet Arthur allerdings deutlich mehr als Mum. Er hat eine ganz eigene Sprache, die ich allmählich zu entziffern lerne. Arthur kommuniziert mit Grunzen, Nicken und Schleimschnauben – eine Art von verrotztem Einatmen, das er einsetzt, wenn er etwas missbilligt. Ein kurzes »Ah« mit zurückgeworfenem Kopf bedeutet, dass ihm etwas egal ist. So ungefähr spielt sich zum Beispiel ein typisches Frühstück ab:
    Arthur und ich sitzen am Küchentisch, und Rosaleen wuselt wie üblich mit toastbeladenen Tellern und kleinen Behältnissen für hausgemachte Marmelade, Orangenkonfitüre und Honig durch die Gegend. Das Radio dröhnt so laut, dass ich auch noch in meinem Zimmer jedes Wort verstehen könnte – irgendein Mann erzählt in nervigem Jammerton, was in der Welt wieder alles Furchtbares passiert ist. Nun tritt Rosaleen mit der Teekanne an den Tisch.
    »Tee, Arthur?«
    Arthur wirft den Kopf zurück wie ein Pferd, das eine Fliege aus seiner Mähne schüttelt. Ja, er möchte Tee.
    Währenddessen klagt der Mann im Radio darüber, dass schon wieder eine Fabrik in Irland geschlossen wird und hundert Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren.
    Arthur atmet ein, zieht eine Ladung Schleim durch die Nase hoch und von dort hinunter in den Rachen. Das heißt, ihm gefällt diese Nachricht nicht.
    Dann erscheint Rosaleen mit dem nächsten Toaststapel. »Oh, ist das nicht schrecklich? Gott steh diesen armen Menschen bei! Vor allem den Kindern – jetzt, wo ihr Daddy keine Arbeit mehr hat.«
    »Und den Müttern«, füge ich hinzu und nehme mir eine Scheibe Toast.
    Aufmerksam sieht Rosaleen zu, wie ich in meinen Toast beiße, und ihre grünen Augen werden ganz groß, während ich langsam kaue. Immer beobachtet sie mich beim Essen, es macht mich ganz kirre. Als wäre sie die Hexe aus
Hänsel und Gretel
, die überprüft, ob ich schon fett genug bin, dass es sich lohnt, mich auf dem großen Holzherd zu braten, die Hände auf den Rücken gefesselt, einen Apfel im Mund. Ein Apfel wäre mir übrigens sehr recht. Das wäre das Kalorienärmste, was mir hier jemals vorgesetzt worden ist.
    Ich schlucke den Bissen herunter und lege den Rest des Toasts auf meinen Teller.
    Enttäuscht über meine schwache Leistung, wendet Rosaleen sich ab.
    Jetzt reden sie in den Nachrichten über eine von der Regierung angeordnete Steuererhöhung, und Arthur zieht wieder kräftig Schleim hoch. Wenn ihm noch mehr schlimme Nachrichten zu Ohren kommen, ist er so verschleimt, dass er bald keinen Platz mehr für sein Frühstück hat. Er ist Mitte vierzig, sieht aber viel älter aus und benimmt sich auch so. Von den Schultern
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