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Ich schreib dir morgen wieder

Titel: Ich schreib dir morgen wieder
Autoren: Cecilia Ahern
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hinunter, und von dort war es nur ein kurzer Sprung auf den Boden. Dann versammelten wir uns an einer bestimmten Stelle unseres Privatstrands und konsumierten ziemlich große Mengen Alkohol. Die Mädchen tranken meistens sogenannte Dolly Mixtures, das heißt, wir mischten in einer Plastikflasche alles zusammen, was wir in den Alkoholvitrinen unserer Eltern vorfanden. Auf diese Art sank der Pegel der einzelnen Flaschen immer nur um ein paar Zentimeter, und niemand schöpfte Verdacht. Die Jungs tranken jede Sorte Cider, die sie in die Finger bekamen, und sie knutschten mit jedem Mädchen, das dazu bereit war. Dieses Mädchen war meistens ich. Meiner besten Freundin Zoey spannte ich einen Jungen namens Fiachrá aus, dessen Vater ein berühmter Schauspieler war, und um ehrlich zu sein, ließ ich mir von ihm nur aus diesem Grund jeden Abend ungefähr eine halbe Stunde unter den Rock fassen. Ich dachte, wenn ich nett zu ihm war, würde ich bestimmt eines Tages seinen Vater kennenlernen. Aber dazu kam es nie.
    Meine Eltern fanden es wichtig, dass ich die Welt kennenlernte und erfuhr, wie andere Menschen lebten. Immer wieder erklärten sie mir, was für ein Glück ich hatte, dass ich in diesem schönen großen Haus am Meer wohnte, und zur Erweiterung meines Horizonts verbrachten wir den Sommer in unserer Villa in Marbella, die Weihnachtsferien in unserem Chalet in Verbier und Ostern im New Yorker Ritz, natürlich nicht ohne ausführliche Einkaufstouren. Für meinen siebzehnten Geburtstag stand ein rosa Mini Cooper Cabrio auf meinen Namen bereit und ein Termin im Aufnahmestudio eines Freunds meines Vaters, der mich singen hören und mir eventuell einen Plattenvertrag geben wollte. Allerdings hätte ich keinen Moment mehr mit ihm irgendwo allein verbracht, nachdem er mir einmal den Hintern betatscht hatte. Dieser Preis war mir für das Berühmtwerden zu hoch.
    Das ganze Jahr über nahmen Mum und Dad immer wieder an irgendwelchen Charity-Veranstaltungen teil, bei denen Mum meistens noch mehr Geld für ihr Kleid als für den Eintritt ausgab. Zweimal im Jahr packte sie all ihre Impulskäufe zusammen, Sachen, die sie nie anzog, stopfte sie in einen Plastiksack und schickte sie ihrer Schwägerin Rosaleen, die auf dem Land wohnte – für den Fall, dass Rosaleen Lust hatte, die Kühe in einem Sommerkleidchen von Pucci zu melken.
    Jetzt, wo wir nicht mehr in der gleichen Welt wie früher leben, ist mir klar, dass wir keine sonderlich netten Menschen waren. Ich glaube, dass meine Mutter das irgendwo unter ihrer erstarrten Oberfläche auch weiß. Nicht dass wir böse gewesen wären, das nicht – wir waren einfach nur nicht
nett
. Wir gaben weit weniger, als wir nahmen.
    Aber was dann passierte, haben wir trotzdem nicht verdient.
    Früher habe ich nie an morgen gedacht. Ich habe ganz im Hier und Jetzt gelebt. Wenn mir der Sinn nach etwas stand, wollte ich es haben, und zwar sofort. Als ich meinen Vater zum letzten Mal im Leben sah, habe ich ihn angeschrien, habe ihm gesagt, ich würde ihn hassen, habe die Tür zugeknallt und bin einfach gegangen. Nie wäre ich früher auf die Idee gekommen, meine kleine Welt mal aus der Distanz zu betrachten und darüber nachzudenken, was ich tat oder sagte. Ob ich damit vielleicht einen anderen Menschen verletzte. Meinem Dad warf ich bei dieser letzten Gelegenheit an den Kopf, dass ich ihn nie wiedersehen wollte – und genau das passierte dann ja auch. Ich dachte nie an den nächsten Tag, und so kam mir natürlich auch nicht in den Sinn, dass das die letzten Worte sein könnten, die ich mit ihm wechseln würde, die letzten Momente, die ich mit ihm erlebte. Jetzt muss ich irgendwie damit zurechtkommen, und das fällt mir nicht leicht. Es gibt eine ganze Menge Dinge, die ich bereue und die ich mir irgendwann verzeihen muss. Aber das dauert.
    Jetzt, wo mein Dad tot ist, und auch wegen der ganzen Geschichte, die ich euch ja noch erzählen muss, habe ich gar keine andere Wahl, als an morgen zu denken und an all die Menschen, die von diesem Morgen beeinflusst werden können. Jetzt bin ich, wenn ich morgens aufwache, froh, dass es diesen Morgen gibt.
    Ich habe meinen Vater verloren. Er hat sein Morgen verloren und ich all die gemeinsamen Morgen mit ihm. Man könnte sagen, dass ich sie jetzt zu schätzen weiß. Jetzt möchte ich das Beste aus ihnen machen.

Kapitel 2
    Zwei Fliegen
    Bei den Ameisen gibt es immer eine Vorhut, die alleine loszieht, um den besten Weg zu einer Nahrungsquelle auszukundschaften.
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