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Ich schreib dir morgen wieder

Titel: Ich schreib dir morgen wieder
Autoren: Cecilia Ahern
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grässlichen Wortkombinationen, die ich zutiefst verachte. Entweder man gewinnt oder man verliert. Aber ein »good win« – ein guter Gewinn? Das ist wie »schmerzlicher Verlust«, »warme Sonne« oder »endgültig tot«. Zwei Wörter, die völlig unnütz zusammengepackt werden, um etwas auszudrücken, was man genauso gut mit einem einzigen Wort hätte sagen können. Manchmal lasse ich einfach eine Silbe weg, wenn mich jemand nach meinem Namen fragt, und nenne mich Tamara Good. Was ein bisschen ironisch ist, weil ich nie ein sonderlich guter Mensch gewesen bin. Oder ich behaupte, ich heiße Tamara Win, eine ironische Anspielung darauf, dass das Glück mir zurzeit gar nicht hold ist.
    Ich bin angeblich sechzehn, aber ich fühle mich mindestens doppelt so alt. Mit vierzehn habe ich mich gefühlt wie vierzehn, habe mich benommen wie elf und mich danach gesehnt, endlich achtzehn zu sein. Aber in den letzten Monaten bin ich um Jahre gealtert. Ist das möglich? Menschen mit den geschlossenen Bewusstseinsknospen schütteln jetzt den Kopf und antworten mit einem klaren
Nein
, während die aufgeblühten ein
Kann sein
signalisieren. Alles ist möglich, meinen sie. Aber das stimmt nicht. Es ist nicht alles möglich.
    Zum Beispiel ist es nicht möglich, meinen Dad wieder lebendig zu machen. Ich hab es versucht, als ich ihn tot auf dem Boden in seinem Büro gefunden habe – »endgültig tot«, könnte man sagen, blau im Gesicht, neben sich eine leere Tablettenpackung, auf dem Schreibtisch eine ebenfalls leere Flasche Whiskey. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, aber ich habe trotzdem meine Lippen auf seine gepresst, um ihn zu beatmen, und dann mit den Händen rhythmisch auf seine Brust gedrückt, um es mit einer Herzmassage zu versuchen. Aber nichts davon hat funktioniert.
    Es hat auch nichts gebracht, dass meine Mutter sich bei der Beerdigung auf den Sarg geworfen und den Lack zerkratzt hat, als sie meinen Vater ins Grab hinunterlassen wollten – das, nebenbei bemerkt, mit grünem Kunstrasen ausgelegt war, was ich ziemlich albern fand. Wollte man uns weismachen, dass es etwas anderes war als die madendurchsetzte Erde, in die man Dad für den Rest der Ewigkeit einbuddelte? Obwohl ich Mum dafür bewundere, dass sie es wenigstens versucht hat, war auch ihr Zusammenbruch auf dem Friedhof erfolglos.
    Und auch die endlosen Geschichten, die man sich bei der Feier nach der Beerdigung im Zuge einer Art Wettbewerb zum Thema »Wer kannte George am besten?« über meinen Vater erzählte, haben es nicht geschafft, ihn wieder zum Leben zu erwecken. Ständig wurden neue Anekdoten aufgetischt, eingeleitet mit Phrasen wie »Echt lustig, deine Geschichte, aber wartet, bis ihr meine gehört habt …« oder »Als George und ich mal …« oder »Ich weiß noch genau, wie George gesagt hat …« Und so weiter. Alle waren so eifrig bei der Sache, dass sie sich ständig gegenseitig ins Wort fielen und nicht nur Tränen, sondern auch Rotwein auf Mums neuem Perserteppich vergossen. Jeder gab sein Bestes, und man hätte
fast
denken können, Dad wäre bei uns im Zimmer, aber im Endeffekt haben ihn auch die ganzen Erinnerungen nicht zurückgeholt.
    Es half auch nichts, dass Mum kurz darauf die Wahrheit über Dads Finanzen herausfand, die ungefähr so zerrüttet waren wie er selbst. Dad war bankrott, die Bank hatte bereits die Pfändung unseres Hauses und des ganzen übrigen Besitzes angeordnet, so dass Mum alles – wirklich
alles
! – verkaufen musste, um die Schulden zu bezahlen. Nicht mal da ist Dad zurückgekommen, um uns zu helfen, und irgendwann habe ich dann begriffen, dass er weg war. Endgültig. Ich dachte mir, wenn er uns das alles alleine durchziehen lässt, wenn er mich Luft in seinen Körper pumpen und Mum vor all diesen Leuten seinen Sarg zerkratzen lässt und dann auch noch dabei zuschaut, wie wir alles verlieren, was wir jemals besessen haben, dann kann ich ziemlich sicher sein, dass er ein für alle Mal aus unserem Leben verschwunden ist.
    Ganz schön schlau von ihm, sich rechtzeitig zu verabschieden und den ganzen Zirkus nicht mitmachen zu müssen. Der war nämlich garantiert genauso grässlich und demütigend, wie er es befürchtet hat.
    Wären meine Eltern mit blühenden Bewusstseinsblumen und nicht nur mit Knospen ausgestattet gewesen, hätten sie den ganzen Schlamassel vielleicht – ganz vielleicht! – vermeiden können. Aber so war es eben nicht. Es gab für sie kein Licht am Ende dieses Tunnels, und wenn doch mal
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