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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
Autoren: Stephan Harbort
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gegeben; jedenfalls hatte er nicht weiter darüber nachgedacht. Nun war es aber da, und er konnte es nicht einfach verscheuchen wie eine lästige Fliege. Es war ein Gefühl, ein Verlangen, ein Wunsch, eine vage Vorstellung. Er wollte Kontakt bekommen zu Mädchen, sie anfassen – und mehr.
    Mit 15 hatte er immer noch keine Vorstellung davon, was da zwischen Jungen und Mädchen, zwischen Mann und Frau vor sich ging. Er hätte Kontakt haben können, Mädchen in seinem Alter gab es auf den Bauernhöfen genug. Aber er war zu schüchtern. Er hätte zu Tanzveranstaltungen gehen, Mädchen dort ansprechen können. Aber er ging nicht hin. Er hätte sich bei seinen älteren Brüdern Rat holen können. Aber er fragte nicht nach. Schließlich war ihm immer wieder eingebläut worden, er sei ein Versager. Und jemand wie er scheute Intimitäten. Denn dieser Zustand erforderte Vertrautheit, Verbundenheit, Vertraulichkeit. Ingredienzen der Intimsphäre, die unverrückbar, unantastbar bleiben sollten. Er spürte instinktiv, dass seelische und körperliche Nähe auch Verfehlung, Verwirrung, Verdruss und Verlust bedeuten konnten. Und er hatte schlechte Erfahrungen gemacht: Wenn ihm jemand zu nahe gekommen war, hatte es meistens Ärger gegeben. Er war ein Ritter ohne Rüstung, allem und allen schutzlos ausgeliefert.
    Und doch loderte da ein Feuer in ihm, das gelöscht werden wollte. Also onanierte er, erst sporadisch, dann regelmäßig. Immer vor dem Schlafengehen. Er stellte sich den nackten Körper eines Mädchens vor; allerdings nicht den eines bestimmten Mädchens. Dabei war er vollkommen auf seine Phantasie angewiesen, den unbekleideten Intimbereich eines Mädchens oder einer Frau hatte er bis dahin nicht gesehen. Und aufgeklärt worden war er auch nicht. Sexualität war in seiner Familie eine verminte Tabuzone, darüber wurde nicht gesprochen. Er wusste nur so viel: Kinder werden vom Klapperstorch gebracht.
    Er war kein junger Mann, der für ein bestimmtes Mädchen schwärmte. Überhaupt wusste er nichts über das weibliche Geschlecht zu sagen. Mädchen waren für ihn eine janusköpfige Unbekannte: reizvoll und aufreizend, vor allem aber undurchschaubar, unberechenbar und unerreichbar. Mädchen übten auf ihn zunächst eine lediglich sexuelle Anziehungskraft aus. Er wollte mit ihnen zu tun haben, aber nicht um ihrer selbst willen. Sie waren Objekte. Und Sexualität war für ihn etwas Handfestes. Er wollte nicht reden, er wollte anfassen. Er wollte nur wissen, wie sich das anfühlt. Körperlichkeit wollte er zulassen, nicht mehr.
    Über Ursprung und Tragweite seiner Gefühle war er sich nie ganz im Klaren. Deshalb konnte er auch die Empfindungen seiner Mitmenschen nicht beurteilen, nicht einordnen. Und seine Bedürfnisse wurden übersehen, meistens aber einfach nicht akzeptiert. Ihm war die Rolle des Befehlsempfängers, des Handlangers zugedacht worden. Mit der Zeit hatte er sich abgewöhnt, Vorstellungen und Vorlieben zu artikulieren. Der So-gut-wie-Analphabet fand keine Worte. Er blieb stumm.
    Aber das Verlangen hielt ihn in Atem. Es arbeitete in ihm, es gärte. Er suchte verzweifelt nach Möglichkeiten, um endlich all das erleben zu dürfen, wovon er mittlerweile schon so oft gehört und geträumt hatte. Kurz vor seinem 17. Geburtstag nahm er all seinen Mut zusammen. Helga, eine Magd auf dem Hof, saß nach dem Melken auf einer Holzbank. Sie machte Pause. Er setzte sich neben sie. Sein Puls raste, als er der 17-Jährigen die rechte Hand auf den Oberschenkel legte. Ohne Worte, einfach so. Es vergingen einige Sekunden, die ihm wie eine Ewigkeit vorkamen. Er war fest davon überzeugt, das Richtige zu tun. Es konnte einfach nichts schiefgehen. Er hätte das Mädchen auch anschauen wollen, aber er konnte sich nicht überwinden. Sie musste es so verstehen. Dann passierte doch etwas: Helga schob seine Hand beiseite – und knallte ihm eine. Wortlos stapfte sie davon. Er war schockiert, ratlos. Alles hätte passieren dürfen, nur das nicht.
    Bis hierhin war seine sexuelle Entwicklung weitgehend unauffällig geblieben. Dass er regelmäßig masturbierte, dass er in der Pubertät aus seiner emotionalen Zwangsjacke noch nicht herauskam, das war sicher nicht ungewöhnlich, und dass er noch keinen Intimkontakt hatte, das konnte sich noch ändern.
    Das tat es aber nicht. Der ungewollte Verzicht auf Intimitäten hielt an, und das Verlangen nach einem Sexualpartner wuchs. Er wollte sich abreagieren. Er musste.
    Mit der Zeit entwickelte er eine
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