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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
Autoren: Stephan Harbort
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fünf Minuten war alles vorbei.
    Schließlich kam er doch in Brot und Lohn. Wieder hatte sein Vater ein gutes Wort für ihn eingelegt. Auf der Zeche »Prosper II« in Bottrop fand er eine Anstellung, als Schlepper im Streckenbau. Knochenarbeit. Zwischen 1000 und 1500 Mark netto bekam er monatlich, den größten Teil des Lohns hatte er aber zu Hause abzuliefern. Sein Vater hatte so entschieden. Er wohnte immer noch bei seinen Eltern, schlief mit drei Brüdern in einem Zimmer.
    Auf den Bauernhöfen rings um Bottrop fand er wieder Gelegenheit, sich an Tieren zu vergehen. Aber das klappte nicht so gut. Mal fand er keinen Schemel oder Stuhl, auf den er sich hätte stellen können, mal war das Vieh auf der Weide. Oder ein Wachhund schlug an. Einmal wurde es brenzlig, als eine Kuh herhalten musste. Aber er konnte sich noch rechtzeitig die Hose hochziehen, und der Bauer hatte sich wohl auch nicht vorstellen können, was da in seinem Stall vor sich ging. So blieb es bei einem »Mach’ dich weg hier!«
    Obwohl er nicht darauf vertrauen durfte, dass es gelingen würde, zog er es in Erwägung. Er wollte Sex – mit einem Mädchen. Eine andere Möglichkeit sah er nicht. Und wie er es anfangen sollte, war ebenso ungewiss. Dabei hatte er doch schon alles ausprobiert, glaubte er. Ihm war allerdings auch so gut wie nichts eingefallen, und er hatte sich noch weniger zugetraut. Er hatte es verdrängen wollen, aber immer wieder war sie da, sie hatte sich förmlich in sein Bewusstsein hineingefressen – die Erinnerung an Helga und das, was passiert war; wie sie reagiert hatte, als er mutig alles auf eine Karte gesetzt hatte. Der Lohn: eine schallende Backpfeife. Bitter. Das war nun Vergangenheit, gewiss. Aber er befürchtete, dass dies auch die Zukunft sein könnte – abgewiesen zu werden oder schlimmer noch: nicht seinen Mann stehen zu können.
    Die allgegenwärtige Versagensangst wirkte wie ein Gift, sie lähmte seinen Körper, seine Willenskraft. Ob »bei Belbe« im Kolonialwarenladen um die Ecke, auf dem Weg zur Arbeit, in der Kneipe oder in der Straßenbahn – nur in Gedanken sprach er sie an: Willst’ mit mir poppen? Das war seine Art, Bedürfnisse und Gefühle auszudrücken. Manchmal wünschte er sich, dass Frauen seine Gedanken lesen könnten. Dann hätte er nicht reden müssen. Dann hätte alles wie von selbst gehen können. Dann hätte es geklappt. Aber er bekam den Mund nicht auf. Nicht ein einziges Mal.
    Die bluttriefenden Gewaltphantasien wurden seltener und verblassten merklich, als er nicht mehr für das Schlachten von Schweinen herangezogen wurde. Aber das »komische Gefühl« blieb. Regelmäßig überkam es ihn. Er wusste nicht genau, was zuerst da war: der schnelle Puls, das Kribbeln und die feuchten Hände oder die monströse Trugwelt, in die er sich flüchten konnte. Die Reihenfolge war ihm aber auch egal. Besänftigen konnte er diesen unspezifischen Drang jedenfalls nur, wenn er masturbierte. Dabei stellte er sich vor, wie es hätte sein können  – in den Armen eines halb nackten Mädchens.
    Seine Mutter machte sich Sorgen. Sie war der Meinung, es wäre Zeit, der Junge müsse unter die Haube. Ihr Sohn hatte auch etwas angedeutet, der Beweis aber stand noch aus. Deshalb wurde hin und wieder nachgefragt, zunächst zaghaft: »Wann stellst du sie uns vor?« Später dann energisch: »Wann stellst du sie uns denn endlich mal vor?« Mit gesenktem Blick kam immer dieselbe Antwort: »Och, bald.«
    Sie war »Gertrud«, seine »Freundin«. Die gab es allerdings nicht wirklich, sie wurde nur dann ins Leben gerufen, wenn er sich nicht anders zu helfen wusste. Insbesondere im Kollegenkreis. Er hätte dick auftragen können, aber er schwieg lieber. Denn er konnte nicht sicher einschätzen, ob das, was er zum Besten geben würde, auch glaubhaft war. Ihm fehlten einschlägige Erfahrungen. Der einzige körperliche Kontakt zu einem Mädchen war bis dahin eine Ohrfeige gewesen. Und nackte Frauen kannte er nur aus Pornoheften, die seine Kumpels unter Tage in Umlauf brachten. Allerdings interessierte und inspirierte ihn dies kaum.
    Aber dann passierte es doch. Eine junge Frau hatte sein Interesse geweckt – und mehr. Roswitha kellnerte in der »Bergmannsklause«, einen Steinwurf von der Wohnung seiner Eltern entfernt. Die 17-Jährige, die alle nur »Rita« riefen, stand in der Woche abends hinter dem Tresen. Er war kein Kneipengänger. Das änderte sich schlagartig, nachdem er Rita das erste Mal gesehen hatte. Jetzt kam er
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