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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich
Autoren: Oliver Hassencamp
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holzgetäfelten Restaurants der Aufsichtsräte. Das schmale Gartenhaus in der um die Jahrhundertwende beliebten Wohngegend, war kein Ort, den ein Wirtschaftsführer offiziell aufsucht. Wie peinlich die Geschichte damals, als herauskam, daß ein Konzernchef der metallverarbeitenden Industrie regelmäßig eine Hinterhausastrologin in Sendling frequentierte.
    Ach ja — jeder muß sehen woher er die Kraft nimmt Allzu früh war er gekommen, hatte das Taxi in einer Seitenstraße halten lassen und lief nun mit Herkules um das Geviert. Während Herrchen die frische Luft einsog, schnupperte der Hund sozusagen à la carte, dankte schwanzwedelnd für die ungewohnte Förderung seiner Verdauung, die zu Hause im Garten bei Beschnüffeln seiner eigenen Produkte nur dürftige Anregung erfuhr.
    Eine schrille, alte Stimme:
    »Sie, gebens Obacht! Mei Weibi is läufig.«
    Zu spät. Herkules streckte sich an einer hochbeinigen Spitzdame empor, zappelnd bemüht zu verrichten, wozu die Natur ihn zwang. Weibi biß, bellte, rannte davon. Aber ein Herkules am Scheideweg weiß, in welche Richtung er sich zu wenden hat.
    »Herkules hierher! Herkules!«
    »Mei, da könnens lang rufen. Die Männer san doch alle gleich.«
    »Warum nehmen Sie Ihren Hund nicht an die Leine? In dem Zustand.«
    »Mei Weibi muß ja auch was schnuppern. Genau wie Ihrer. Deswegen geh ich um Mittag mit ihr. Da san die andern Hund alle daheim.«
    Die tändelnden Vierbeiner jagten vorbei.
    »Da gehst her, Weibi! Laß den. Der is ja viel zu klein.«
    Sie lachte schrill. Passanten wurden aufmerksam und erwiesen sich hilfsbereit.
    »Hier, Herr Direktor!«
    Ein Jüngling brachte den keuchenden Schürzenjäger.
    »Sie kennen mich?«
    »Ich war mal Bote bei Ihnen. Jetzt bin ich Piccolo im Jahreszeiten. Da sieht man was von der Welt.«
    Die Alte nickte.
    »Soso. Ein Direktor san’s. Dann gehen’s sicher zum Herrn Dokter!«
    Sie deutete auf das Gartenhaus, kicherte und zog den Piccolo mit sich fort, der ein Trinkgeld einsteckte, dessen Höhe noch vor fünfzehn Jahren zu lebenslänglicher Diskretion verpflichtet hätte.
    An Schlaf ist diesmal nicht zu denken. Der Besucher hat ein Programm: Wiederherstellung seines Image. Er war zu mitteilungsfreudig gewesen. Die Couchlage wird verweigert. Aus Fertigteilen wächst im Handumdrehen das Ausstellungsmodell eines deutschen Wirtschaftsführers. Transparent, mit beleuchteter Innenansicht. Den Sockel bildet Verantwortung . Darauf türmen sich Betriebsklima und Sozialprestige, zwischenmenschliche Konzeptionen und Perspektiven, echte Anliegen stehen frei im Raum , ohne die Optik der Dinge in dieser Größenordnung zu verzerren. Auch das Ballungszentrum Berlin kommt zum Tragen , die blutsmäßige Bindung an unsere Brüder und Schwestern wird in der Zone angesiedelt, die unabdingbaren Garanten für Frieden und Freiheit werden fest in den Griff genommen, vor V ernutzung zuhandener Kommunikationsmittel wird eindringlich gewarnt, bis endlich nach Verbesonderung der Eigentlichkeit im Spitzengespräch als letztes Bauelement dynamischen Führungsstils wiederum V erantwortung den formierten Gesellschafter krönt.
    Wenn der Doktor die Augen schließt, ist ihm, als lausche er einer Rundfunkübertragung aus dem Deutschen Bundestag. Dann strömt ihm Erwartung entgegen. Er nickt und gibt damit dem Besucher Ansporn zum allerletzten:
    »Ich will Ihnen etwas anvertrauen, Doktor, was ich noch keinem Menschen gesagt habe: Für mich sind Werk und Religion eine untrennbare Einheit. Mich hat das Schicksal nicht umsonst auf diesen Posten gestellt. Meine Betriebsführung ist, wenn Sie so wollen, gottgewollt. Und wenn dereinst meine Stunde schlägt und ich mich verantworten muß, als Manager und Mensch, dann möchte ich mir von meinem Herrgott nicht sagen lassen müssen, ich hätte betriebs- und charaktermäßig versagt.«
    Erläuternd springt er mit seinem Herrn und Gott um, als wäre der Schöpfer Kollege aus dem Topmanagement, die Kenntnis kompliziertester Verflechtungen Ihm selbstverständliche Voraussetzung. Der Besucher ist aufgestanden, geht durchs Zimmer, gefolgt von Herkules und baut aus Fabrikschornsteinen, Nächstenliebe und sanitären Anlagen eine Kathedrale um den Gral seines hohen Menschentums. »Jeder Tüchtige kann bei mir etwas werden, jeder Flüchtling. Sogar Ausländer! Alles ist da: Sportanlagen, Kinderspielplatz, ein Betsaal für alternierende Einkehr. In der Krankenstation können Wöchnerinnen kostenlos entbinden; unser Reisedienst führt
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