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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich
Autoren: Oliver Hassencamp
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— positive Gedanken — der Doktor sieht mich nicht mehr — regt nur auf und macht nichts besser — Natur Häuschen am Waldrand — aber das Werk — alles was man erarbeitet hat
    Er fühlt sich den Puls, springt aus dem Bett, läuft die Treppe hinunter, holt im Wohnzimmer das dicke rote Buch aus dem Regal: Die Hausfrau als Hausarzt. Buchstabe H — Herzflattern, längerer Text, Absatz. Behandlung: siehe unter F — Fußbäder. Das Buch auf den Schenkeln, sitzt er auf dem Rand der Wanne, die Füße im kalten Wasser und kreist seinen Zustand alphabetisch ein: A — Angina pectoris; E — Erstideen; H — Hals; Herz; den Buchstaben К wie Krebs überschlägt er; О — Ohrdruck; S — Schilddrüse, siehe auch unter G — Globus hystericus; Schwindel...
    Geräusch vom Ankleidezimmer. Reflexartig steckt er das Buch in die Toilettenschüssel, schließt den Überdeckel. Seine Frau tritt ein, im Morgenrock, besieht die Füße in der Wanne, seine hageren weißen Beine. Er deutet den Blick als Vorwurf.
    »Man wird sich wohl noch die Füße kühlen dürfen!«
    »Aber schau nicht wie ein Todkranker. Das einzige, was dir fehlt, ist Schlaf.«
    »Bist du aufgestanden, um mir das zu sagen?«
    Sie nimmt einen Cremetiegel von der Glasplatte.
    »Keine Angst. Ich tu dir nichts. Schlaf gut. Und trink nicht so viel! Da kann der Organismus nicht zur Ruhe kommen.« Ein mütterliches Lächeln; behutsam schließt sie die Tür. Er steigt aus der Wanne, holt den eingeweichten Ratgeber aus dem Klosett, wickelt ihn in saugfähiges Papier von der Rolle, schleicht auf unabgetrockneten Füßen abermals die Treppe hinunter, empfindet sein Tun eines reifen Mannes unwürdig und die selbstgewählte Heimlichkeit als Freiheitsberaubung.
    Sein Versuch, das Buch im Keller zu verbrennen, mißlingt. Die Heizung ist für derart simple Verrichtungen zu fortschrittlich. Barfuß läuft er aus dem Haus, über schmerzhaft kalte Steinfliesen zur Garageneinfahrt, wo hinter einer in die Mauer eingelassenen Blechtür die Mülltonnen stehen, stößt mit der empfindlichen Stelle zwischen großer und zweiter Zehe gegen die Torarretierung: der Fuß, sonst mittelbar wie ein Angestellter für ihn tätig, wird plötzlich als enger Verwandter empfunden, dazugehörig, wie der eigene Kopf. Schmerz und fünf Grad Celsius verhindern jedwede Reflexion. Er wirft das Buch in die erste Tonne, holt aus der zweiten Salatreste und Orangenschalen, um den ungewöhnlichen Abfall zu tarnen, greift im Dunkel in Glitschiges. Alte Mayonnaise! ergibt die Riechprobe. Motorengeräusch.
    Vor seinem Haus steht ein Wagen mit abgeblendeten Scheinwerfern; auf den Stufen vor der Haustür reglos ein fülliger Schatten. Der Puls wird schneller.
    »Halt, oder ich rufe!«
    Der füllige Schatten teilt sich. Aus der schmäleren Hälfte die Stimme seiner Tochter:
    »Mein Gott, Papi, hast du mich erschreckt!«
    Übergangslos stellt sie die andere Schattenhälfte vor, einen italienischen Kommilitonen und betrachtet ihren Vater genauer.
    »Warst du auf dem Nachthemdenball? Ich denke der Fasching ist vorbei.«
    »Ich hörte jemand im Garten und wollte nachsehen. Gehen Sie, junger Mann! Fahren Sie ums Karree! Wenn er irgendwo über die Mauer kommt, nehmen Sie ihn fest!«
    Wortlos flieht der Italiener der befohlenen Heldentat entgegen; mitleidig besieht das Kind seinen Vater bei Licht. Jetzt in der Wärme zittert er vor Kälte.
    »Diese Küsserei vor der Haustür möchte ich nicht gesehen haben!«
    »Okay, Papi. Haben wir beide nichts gesehen. Mami würde sich nur unnötig aufregen.«
    Er nimmt seine Tochter in den Arm, schnuppert an den festen, frischen Backen, hält sie fest und sich an ihr. Ein Gefühl der Wärme und Schwere durchläuft ihn. Er könnte einschlafen, auf der Stelle.
    Stephanie streichelt ihn, schlüpft aus der Umarmung, dreht ihn beidhändig an den Rudimenten der Taille in die gewünschte Richtung, bugsiert ihn liebevoll die Treppe hinauf. Vor ihrer Tür bekommt er noch einen Kuß.
    »Wenn ich dir einen Rat geben darf, Papi: Trink einen ordentlichen Cognac und nimm ein heißes Fußbad. In deinem Alter muß man vorsichtig sein. Hör auf deine Tochter! Ausnahmsweise. Gute Nacht.«
    Er hört, badet die Füße heiß gegen die Kälte und kalt gegen die Aufregung, trinkt ein Glas Cognac, wie sie ihm geraten, unterläßt es aber, sich ein zweites einzuschenken, damit der Organismus zur Ruhe kommt.

    Die Praxis lag weit außerhalb seines gewohnten Geschäftsbereichs der Banken, Ministerien, Hotels und
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