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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich
Autoren: Oliver Hassencamp
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sich ausruhen. Ach tut das gut! Entschuldigen Sie, wenn ich gähne.«
    Der Doktor setzt sich an seinen Schreibtisch, und wartet, ohne ein verbindendes Wort. Ein Stapel wissenschaftlicher Bücher zwischen seinem Kopf und dem des Besuchers rundet die Neutralität. Nichts lenkt ab. Die Möbel, sachlich, ohne Geschichte, grau der Teppich, weiß und glatt die Decke. Keine Unterbrechung durch Beleuchtungskörper. Nicht einmal das zwischen zwei Glasplatten aufgehängte Aquarell, einen riesigen Maiskolben vor flammendrotem Feuerball, der sich über einem schwarzen Meer wölbt, nimmt der Besucher auf.
    Doktor und Hund warten. Die gleichmäßigen Atemzüge werden lauter. Herrchen ist eingeschlafen. Herkules rollt sich zusammen, der Doktor erledigt Korrespondenz. Blick auf die Uhr, absichtsvolles Räuspern. Herkules bellt.
    »Ach, Doktor, hätten Sie mich doch schlafen lassen! Nur schlafen, schlafen!«
    Der Besucher setzt sich auf, reibt sich die Augen, streckt sich, gähnt, entschuldigt sich, sinkt zurück, Herkules rollt sich zusammen, Herrchen ist wieder eingeschlafen. Als er nach einer Viertelstunde abermals geweckt wird, zeigt er sich erholter, weniger benommen.
    »Daß ich hier einschlafe! Seit Nächten habe ich kein Auge zugetan. Die Verantwortung, wissen Sie, der heutzutage erforderliche dynamische Führungsstil — das geht an die Substanz, Doktor, das merkt jeder früher oder später. Oder haben Sie eine andere Erklärung?«
    Verständnis strömt dem Besucher entgegen. Hetze, Ärger, Überforderung werden als weitere Ursachen benannt; auf der Couch falle die Spannung ab, Schlaf stelle sich ein. Alles klingt selbstverständlich, trägt zur Erholung des Besuchers bei, der glaubte, sich ungewohnt verhalten zu haben. Er ist nicht allein. Damit hat die Therapie begonnen, obwohl noch nichts geschehen ist. Oder gerade deswegen.
    Das Sprechen fällt leichter; der Besucher zählt weitere Hindernisse auf. Vieles ist schuld, sehr vieles, daß er nicht zum Wesentlichen, nicht zu sich selbst kommt. Man könne ja auch mit niemandem reden. Den meisten fehle der geistige Überbau, um Belange zu formulieren, die zeitgemäße Konzeption. Da sehne man sich oft nach einem echten Gespräch, nach fruchtbarem Dialog unter Männern, nach einem Freund. In solchen Augenblicken sei Herkules seine ganze Freude, die fügsame Kreatur, ergeben ins Dasein, vertrauensvoll und für alles dankbar.
    Hinter dem Bücherstapel hat sich der Doktor Notizen gemacht. Die gehäuften Schablonen aus der Industriesprache sagen ihm, daß die Hindernisse anderswo zu suchen sind. Zwar wird er ausdrücklich nicht als Arzt gewünscht, doch wenn ein Mensch in seiner Praxis spricht, mag er lügen oder verschweigen, ist der Therapeut einbezogen. Mittlerweile wird der Besucher lyrisch, verdichtet Lebensmühsal und Schulbildung zu religiös-poetischem Surrogat.
    »Ja, Herkules. Er sät nicht, er erntet nicht und unser himmlischer Vater ernährt ihn doch. Durch mich!«
    Leer schaut der Doktor, unverwundert. Er weiß was mitunter herauskommt, wenn ein Mensch sich offenbart.
    Das Telefon klingelt.
    »Ja«, sagt der Doktor, »ruf mich später an.«
    Nichts ist dem Besucher entgangen. Er vermutet, daß es eine Frau war, die der Doktor mit einem Satz abgetan hat, keine Ablenkung von ihm geduldet. Zu diesem Mann könnte man Vertrauen haben. Leider ist die Stunde um. Der Besucher vereinbart einen neuen Termin und wird zu einem Nebenausgang geleitet. Auch daran ist hier gedacht. Ein Händedruck noch, Herkules darf auf den Arm, an der Tür unvermittelt die Frage:
    »Sie wollten mir von Ihrem Freund erzählen?«
    Herrchen streichelt Herkules und entschuldigt sich. Auf dem Weg zum Gartentor bedauert er seine Redseligkeit.
    Was muß der Mann denken — von einem Mann der kommt um zu jammern — statt den Mund zu halten wie ein Mann

    Cognac in solchen Mengen sei bestimmt nicht das richtige, hatte seine Frau gesagt. Nicht immer lasse sich Böses mit Gutem vertreiben. Sie hat leicht reden. Auch Cognac lindert nicht mehr. Wenn die Dunkelheit heraufzieht, kommt die Angst.
    Er hat in einer Broschüre über autogenes Training gelesen, dabei den Hund gestreichelt und versucht, in den Beinen ein Gefühl der Wärme und Schwere zu erzeugen. Die Konzentration bekommt ihm nicht. Im Liegen wird jeder Herzschlag zum Menetekel, das Bett zum dröhnenden Sarg.
    Mein Gott — und erst Viertel vor elf — was hab ich falsch gemacht daß ich so gestraft werde — mit niemand kann man reden — ignorieren
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