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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich
Autoren: Oliver Hassencamp
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errötete.
    »Entschuldigung, ich... Er verlangt eine andere Dolmetscherin. Die vielen Fachausdrücke... Ich studiere doch noch...«
    Es gab Tränen. Hilde wurde gerufen. Hilde wußte Hilfe: Einen Exilrussen bei Schröder im Werk. Bis der eintraf, mußte die verstörte Elevin noch durchhalten. Der Chef half ihr so gut er konnte, stellte, seiner kapriziösen Gesundheit nicht achtend, das Programm auf >Sozialtour< um, zeigte unverfängliche Objekte, die den Russen imponierten und keine Fachausdrücke erforderten. In den Grünanlagen beim Kinderspielplatz durfte sich das Mädchen endlich verabschieden. Den Exilrussen empfand Mamajew offensichtlich als Zumutung. Doch was immer ihm oder den Delegierten zu fragen einfiel, der verachtete Landsmann blieb ihnen gewachsen. Auf eigenen Wunsch nahmen die Gäste das Mittagessen in der Kantine ein. Der Gastgeber lag auf dem grünen Ledersofa in seinem Büro und litt: augenblicklich ein Krämpfen im Bereich der Schilddrüse, zu Husten und Würgen reizend. Hilde versorgte ihn aus ihrer in erster Linie für weibliche Unpäßlichkeiten ausgerüsteten Schreibtischschubladenapotheke.
    »Soll ich nicht den Werksarzt rufen?«
    Der Chef verschluckt sich an der Tablette gegen Frauenschmerzen.
    »Kommt gar nicht in Frage! Andere Leute sind ständig krank und auch gesund. Das ganze Leben ist eine Willensfrage. Sehen Sie sich unsere Russen an. Das sind noch Männer! Wenn die mal Schmerzen haben, die merken das gar nicht. Wir stehen durch! Die deutsche Industrie gibt sich keine Blöße. Sie wissen, wie so was verallgemeinert wird!« Besorgt verläßt Hilde das Chefzimmer. Er setzt sich auf, betrachtet sich im Taschenspiegel.
    Was will sie denn — habe Farbe als hätt ich durchgeschlafen — die Zunge ist frei — bei Krebs soll man sich anfangs ausgesprochen wohl fühlen — ich fühle mich gar nicht wohl — alles die Tablette — die werd ich mir besorgen
    Die Russen verschlangen Münchens Sehenswürdigkeiten: Schloß Nymphenburg, die Pinakothek, die Frauenkirche, die Residenz. Vor dem halbierten Unterseeboot im Deutschen Museum fühlt sich der Gastgeber unbemerkt den Puls.
    Normal
    In der Asamkirche wollte Mamajew wissen, wie hoch bei den Münchner Straßenbahnfahrern der Prozentsatz der Arbeiter sei. Der Gastgeber überließ es dem Exilrussen, die kapitalistischen Arbeiter als Wagenbesitzer vorzustellen, beobachtete die Delegierten, die versunken zu dem Deckengemälde hinaufstarrten, als sei in ihnen eine ganze Kette gläubiger Vorfahren erwacht.
    Auch er sieht hinauf in den heiteren Barockhimmel.
    Mein Gott laß mich gesund sein
    In der Feldherrnhalle fragt Mamajew nach der Naziehrentafel. Hier lenkt der Gastgeber ab. Der Exilrusse muß übersetzen:
    »Die Frau des Direktors würde sich sehr freuen, Herrn Mamajew und seine Begleitung zum Abendessen in ihrem Hause begrüßen zu dürfen.«
    Die Delegierten strahlen.
    »Njet.«
    Obwohl der rüden Absage keine mildernde Begründung folgte, fuhr er mit den Russen ins Hotel, verabschiedete sich, und rief seine Frau an. Eigentlich war es ganz gut so. Man konnte sich auch weniger anstrengend ablenken. Nur nicht allein sein.
    Als er vom Telefon zurückkam, saßen die Delegierten in der Halle. Da sich der Dolmetscher inzwischen verabschiedet hatte, bekam die Verständigung etwas Touristenhaftes. Fehlende Worte ersetzte die herzliche Gebärde, mangelndes Begreifen solidarisches Gelächter. In einer Art pantomimischer Kollektivarbeit erfuhr er, daß Mamajew sich ohne Abendessen zur Ruhe begeben habe. Der Gastgeber überlegte; sein Unterbewußtsein gab Sprachbeute aus dem Rußlandfeldzug frei. Es kam zu einem gemischten Verbaldoppel. Wer ein Wort in der Mundart des andern bereit hatte, sprach es in satzbildnerischer Absicht gleich zweimal aus, worauf der Angeredete sich beeilte, dieselbe Vokabel auch seinerseits in der Übersetzung zu liefern und ebenso oft.
    »Da da.«
    »Ja ja.«
    »Njet njet.«
    »Nix nix.«
    »Dobre dobre.«
    »Gut gut.«
    Aus Gesten, wie sie bei Soldaten aller Nationen gebräuchlich sind, entnahm er, wonach ihnen der Sinn stand, meldete sich zu Hause wieder ab und fuhr mit ihnen zu »Münchens schönster Tochter«, wie Schwabing, das ehemalige Künstlerviertel hinter dem Siegestor, vor seiner Entdeckung als Touristenattraktion liebevoll genannt worden war.
    Da saßen die Delegierten in rauchiger Kellerbar, löffelten durstfördernde Gulaschsuppe, ohne Alkohol zu bestellen, wippten im Rhythmus der Lärmgruppe.
    Der Gastgeber hebt
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