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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich
Autoren: Oliver Hassencamp
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Landesvorsitzende war... Und seitdem... ein andrer Mann, unkonzentriert, schlaff, Liebesunlust... Dabei ordentlich verheiratet, keine Probleme, keine Krankheiten... Ein bißchen Kopfweh bei Föhn, wie er mir sagt, gelegentlich Schlaflosigkeit — was jeder hat. Und dann so was! Von einer Minute zur andern. Da macht man sich natürlich Sorgen. Wir sind derselbe Jahrgang...«
    Berichte besorgter Freunde sind dem Seelendoktor im Piratengewand nichts Neues. Sein Nicken stärkt das junge Zutrauen.
    »Jeden Augenblick kann’s wieder losgehen, Schweißausbruch, hundertfünfzig Puls, Ohrdruck... Gut, er läßt sich untersuchen, prophylaktisch. Und was sage ich Ihnen: Nichts! Ein Faschingsscherz des Organismus. Symptome, die nicht bleiben, sind keine.«
    Es kratzt in der Kehle. Er muß trinken. Der weißhaarige Senator hampelt immer noch.
    »Und dann die Nächte! Da liegt man im Dunkel, und auf einmal bewegt sich alles, Fabelwesen hocken auf der Bettdecke — soweit ich ihn verstanden habe. Er ist da sehr zurückhaltend verständlicherweise. Von Hieronymus-Bosch-Gestalten sprach er, die ihn ängstigen. Ich sage: Da gibt’s nur eines: Du mußt zu einem Psychiater! Sind Sie da meiner Meinung?«
    Der Pirat nickt, unterdrückt hinter dem Sektglas ein Gähnen. Der grüne Domino atmet auf.
    »Freut mich, daß Sie das bestätigen. Aber er ist alarmiert, denkt an Krebs, mein Gott... Ich kann nicht zum Psychiater! sagt er. Ein Mann ist ein Mann und hat keine seelischen Wehwehchen, sagt er. Wenn das publik würde! Wir sind hier nicht in Amerika...«
    Tusch der Kapelle.
    Ein Conferencier, mit Orden ortsansässiger und auswärtiger Humorverwaltungen behängt, kündigte eine Darbietung an. Widerwillig räumten die Paare das Parkett; die Stimmung sank auf den Ausgangspunkt zurück.
    Als die Damen zurückkommen, erheben sich Pirat und grüner Domino.
    »Sie halten also psychische Ursachen für möglich?«
    Der Pirat hält alles für möglich. Wenn er helfen solle, müsse der Betreffende allerdings selber kommen. Dafür sorgen zu wollen, verspricht der grüne Domino. Er werde den Freund schon überzeugen. Seine Frau kreuzt den Dialog. Nachdem sie sich gesetzt hat, letzte Verständigung.
    »Ich rufe Sie auf jeden Fall an und gebe Bescheid. Wenn Sie da helfen könnten, hätte sich der Abend doch noch gelohnt...«
    Er hebt sein Glas, nickt hinüber, verschluckt sich. Seine Frau klopft ihm auf den Rücken und während er Luft holt, glaubt er gesehen zu haben, daß sie dem Piraten zulächelt. Warum eigentlich nicht? Es ist Fasching.
    »Schröder«, sagte der weißhaarige Senator und gab dem Piraten die Hand.
    »Kuppenheim«, sagte der Seeräuber. Auch die mollige Neugier war mitgekommen und ihr ellenlanger Vollmatrose mit der Empiredame. Vor dem Musikpodest mühten sich gewerbsmäßige Kleinkünstler über Lautsprecher. Doch die gutgemeinte Einlage brach sich am Geplauder der Masken. »Ballbesucher sind Selbstversorger!« stellte der grüne Domino fest. Sitzbein innen, Stützbein außen amüsierten sich Senator und Psychiater auf demselben Stuhl.
    »Wir sitzen hier richtig gesamtdeutsch. Zwei Hälften! Und Sie sind also Psychologe! Da haben Sie wohl hauptsächlich Frauen und Amerikaner?«
    Man lachte ausführlich.
    Der grüne Domino denkt zurück. Vor einem Jahr — im roten Domino — hat er noch getanzt. Mit der molligen Neugier Brockhoff vor allem, damals mit orangefarbenen Schenkeln. Noch vor einem Jahr! Jetzt sitzt sie neben Schröder und lächelt herüber:
    »Sie haben überhaupt noch nicht getanzt!«
    Es sei eng, die Luft schlecht, sagt er. Da schaltet sich der vitale Schröder ein:
    »Ach was. Keine Erotophobie! Gegen den Qualm in unseren Sitzungen ist das hier reinster Ozon.« Er schnuppert zur Lilaschenkligen, sagt launig »Ozon Chanel« und hebt sein Glas: »Man muß die Feste feiern, wenn die Wertpapiere fallen! Auf unsere unübertrefflichen Sozialleistungen! Auf das gleichberechtigte Geschlecht. Alaaf!«

    Der Chef hat Sorgen. Immerhin lenken Sorgen ab. Soll er investieren? Soll er nicht? Man wartet auf seine Entscheidung. Und er wartet auf Bonn. Kеіn Zusammenspiel, Interessenwurstelei, und der alte Industriekaiser, von dem er abhängt, sagt nicht, was er vorhat. Die Gewerkschaften fordern weiter.
    Das patriarchalische Prinzip war besser, sagt der Chef jedem, der es hören will. Warum mit Gewalt ändern, was gut ist, nur weil es schon lange gut ist? Dieses Volk sei für die Demokratie geschaffen wie Pinguine zum Laufen. Das sagt
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