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Ich hab dich im Gefühl

Ich hab dich im Gefühl

Titel: Ich hab dich im Gefühl
Autoren: Cecelia Ahern
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ersten kleinen Atemzug des Lebens einfach nicht mitbekommen.
    Traurig schüttelt Dad den Kopf. Nein, ich war es, die geschrien hat.
    Jetzt zittert meine Unterlippe immer mehr, aber ich kann nichts dagegen machen. Mein ganzer Körper bebt, und auch dagegen bin ich machtlos. Tränen steigen mir in die Augen, aber ich halte sie zurück. Wenn ich jetzt damit anfange, kann ich nie mehr aufhören, das weiß ich genau.
    Ich mache ein Geräusch. Ein seltsames Geräusch, das ich noch nie gehört habe. Stöhnen. Grunzen. Eine Mischung aus beidem. Dad fasst meine Hand und hält sie ganz fest. Die Berührung holt mich zurück in die letzte Nacht, und ich erinnere mich daran, wie ich am Fuß der Treppe lag. Er sagt nichts. Aber was soll man auch sagen?
    Ich verfalle in einen unruhigen Halbschlaf. Einmal wache ich auf und erinnere mich an ein Gespräch mit dem Arzt, und ich frage mich, ob das ein Traum war. Sie haben Ihr Baby verloren, Joyce, aber wir haben alles getan, was wir konnten … Bluttransfusion … Wer muss so etwas im Gedächtnis behalten? Niemand. Ich bestimmt nicht.
    Als ich wieder wach werde, ist der Vorhang neben mir offen. Drei kleine Kinder rennen herum, jagen einander ums Bett, während ein Mann, vermutlich ihr Vater, sie in einer Sprache ermahnt, die ich nicht erkenne. Wahrscheinlich ist die Frau im Bett ihre Mutter. Sie sieht müde aus. Unsere Blicke begegnen sich, und wir lächeln einander zu.
    Ich weiß, wie du dich fühlst, sagt ihr trauriges Lächeln, ich weiß genau, wie du dich fühlst.
    Was sollen wir tun?, fragt mein Lächeln zurück.
    Ich weiß es nicht, antworten ihre Augen. Ich weiß es nicht.
    Wird alles wieder gut?
    Sie wendet den Kopf ab, und ihr Lächeln ist verschwunden.
    Dad ruft zu der Familie hinüber: »Wo kommt ihr denn eigentlich her?«
    »Wie bitte?«, fragt der Mann.
    »Ich hab gefragt, wo ihr denn eigentlich herkommt«, wiederholt Dad. »Nicht von hier, das sieht man ja.« Dads Stimme klingt nett und fröhlich. Er will keinem auf den Schlips treten. Nie.
    »Wir sind aus Nigeria«, erklärt der Mann.
    »Nigeria«, sagt Dad nachdenklich. »Wo ist das eigentlich?«
    »In Afrika.« Auch er spricht freundlich und entspannt. Offensichtlich ist ihm klar, dass er es nur mit einem alten Mann zu tun hat, der sich gern ein bisschen unterhalten möchte und auf seine Art versucht, Kontakt zu knüpfen.
    »Ah, Afrika. War selbst noch nie dort. Ist es heiß? Wahrscheinlich schon, was? Heißer als hier. Kann man bestimmt schön braun werden – nicht dass Sie es brauchen würden«, fügt er lachend hinzu. »Wird es Ihnen hier nicht manchmal zu kalt?«
    »Kalt?«, lächelt der Afrikaner.
    »Ja, Sie wissen doch«, meint Dad, schlingt die Arme um sich und tut so, als würde er bibbern. »Kalt.«
    »Ja«, lacht der Mann. »Manchmal ist mir kalt.«
    »Hab ich mir gedacht. Mir nämlich auch, und ich bin hier geboren«, erklärt er. »Die Kälte geht mir bis in die Knochen. Aber ich bin auch nicht so für Hitze. Meine Haut wird knallrot und verbrennt einfach. Meine Tochter, Joyce, die wird braun. Das ist sie übrigens da drüben.« Er zeigt auf mich, und ich schließe schnell wieder die Augen.
    »Eine hübsche Tochter haben Sie«, sagt der Mann höflich.
    »O ja.« Schweigen kehrt ein, und ich vermute, dass sie mich ansehen. »Sie war vor ein paar Monaten auf einer dieser spanischen Inseln, und als sie zurückkam, war sie richtig schwarz, ehrlich. Na ja, nicht so schwarz wie Sie, aber richtig braun gebrannt eben. Dann hat sie sich geschält. Sie schälen sich wahrscheinlich nicht.«
    Der Mann lacht höflich. So ist Dad. Meint nie etwas böse und war in seinem ganzen Leben noch kein einziges Mal im Ausland. Seine Flugangst hindert ihn daran. Zumindest behauptet er das immer.
    »Ich hoffe, Ihre hübsche Frau wird sich bald besser fühlen. Ist doch gemein, wenn man in den Ferien krank wird.«
    Jetzt schlage ich die Augen auf.
    »Ah, da bist du ja wieder, mein Schatz. Ich hab mich gerade mit unseren netten Nachbarn unterhalten.« Wieder wippt er zu mir herüber, die Kappe in den Händen. Ruht auf dem rechten Bein, runter, beugt das linke. »Weißt du, ich glaube, wir sind die einzigen Iren in diesem Krankenhaus. Die Schwester war grade vorhin hier, sie kommt aus Singsang oder so.«
    »Singapur, Dad«, korrigiere ich ihn mit einem Lächeln.
    »Genau.« Er zieht die Augenbrauen hoch. »Du kennst sie schon, was? Aber alle sprechen Englisch, auch die Ausländer. Klar, das ist auch besser, als wenn man sich in den
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