Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich folge deinem Schatten

Ich folge deinem Schatten

Titel: Ich folge deinem Schatten
Autoren: Mary Higgins Clark
Vom Netzwerk:
Arbeitgeber, der sie als Assistentin so sehr geschätzt hatte, so gegen sie wenden konnte. Als sie neun Jahre zuvor bei ihm angefangen hatte, direkt nach ihrem Abschluss am FIT, dem Fashion Institute of Technology, hatte sie die hohe Arbeitsbelastung und seine Launenhaftigkeit gern in Kauf genommen, weil sie wusste, dass sie viel von ihm lernen konnte. Longe, der sich mit Anfang vierzig hatte scheiden lassen, hatte es bis ganz nach oben geschafft. Er war immer extrem schwierig gewesen, aber erst, als er sein besonderes Augenmerk auf sie richtete und sie ihm zu verstehen gab, dass sie nicht an einer Beziehung mit ihm interessiert wäre, tat er alles, um ihr mit seinem beißenden Sarkasmus und seinen endlosen Kritteleien das Leben schwerzumachen.
    Ich habe damals sogar darauf verzichtet, Mom und Dad in Rom zu besuchen, dachte Zan. Longe wäre ausgeflippt, wenn ich ihn um zwei Wochen Urlaub gebeten hätte. Also habe ich die Reise um ein halbes Jahr verschoben. Und als ich ihm dann klarmachte, dass ich fliegen würde, gleichgültig, ob es ihm gefiel oder nicht, war es längst zu spät.
    Während sie auf dem Flughafen in Rom auf ihre Eltern gewartet hatte, die sie abholen wollten, hatte ihr Vater den Wagen gegen einen Baum gesetzt. Ihre Eltern waren auf der Stelle tot gewesen. Die Autopsie ergab, dass ihr Vater am Steuer einen Herzinfarkt erlitten hatte.
    Denk heute nicht daran, tadelte sie sich. Konzentrier dich auf die Musterwohnungen. Longe wird ebenfalls seine Pläne abgeben. Ich kenne seine Arbeitsweise, ich kann ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen.
    Longe würde sicherlich Entwürfe für eine traditionelle, eine ultramoderne sowie eine Raumgestaltung präsentieren, die Elemente aus beiden vereinte. Sie versuchte sich darauf zu konzentrieren, ob sie nicht ihre Skizzen und Farbvorschläge weiter verbessern konnte.
    Als ob das irgendwie wichtig wäre. Als ob irgendetwas außer Matthew wichtig wäre.
    Sie hörte den Schlüssel im Schloss. Josh war eingetroffen. Wie sie kam ihr Assistent vom FIT. Er war fünfundzwanzig Jahre alt, clever, sah eher wie ein Junge vom College aus und nicht wie ein begabter Innendesigner und war für sie fast so etwas wie ein jüngerer Bruder geworden. Zum Teil lag das auch daran, dass sie sich noch nicht gekannt hatten, als Matthew verschwand. Irgendwie passte es einfach zwischen ihnen beiden.
    Seine Miene aber gab ihr zu verstehen, dass etwas im Argen lag. Ohne sie zu begrüßen, sagte er: »Zan, ich bin gestern länger geblieben, um die Rechnungen für den letzten Monat abzuarbeiten. Ich wollte dich gestern Abend nicht mehr anrufen, du hast ja gesagt, du würdest eine Schlaftablette nehmen. Aber, Zan, warum hast du ein Einfach-Flugticket nach Buenos Aires für nächsten Mittwoch gekauft?«

6
    Der kleine Junge hörte den Wagen auf der Einfahrt, noch bevor Glory ihn bemerkte. Sofort glitt er vom Stuhl am Frühstückstisch und flitzte in den Flur zum großen Schrank, wo er sich, wie er wusste, »mucksmäuschenstill« verstecken musste, bis Glory ihn wieder rausholte.
    Es störte ihn nicht. Glory hatte ihm gesagt, es sei ein Spiel, damit er in Sicherheit war. Er hatte eine Taschenlampe auf dem Boden des Schranks und eine kleine Luftmatratze, auf die er sich legen konnte, wenn er müde wurde. Es gab Kissen und eine Decke. Dort drin, hatte Glory gesagt, konnte er so tun, als wäre er ein Pirat, der über das Meer segelt. Oder er konnte eines seiner Bücher lesen. Es gab viele Bücher im Schrank. Nur eines dürfe er nie, nie tun, nämlich auch nur einen Laut von sich geben. Er wusste immer, wann Glory ausging und ihn allein ließ, denn dann zwang sie ihn, auf die Toilette zu gehen, auch wenn er gar nicht musste, und stellte ihm eine Flasche in den Schrank, in die er hineinpinkeln konnte. Und sie gab ihm ein Sandwich und Kekse und Wasser und eine Pepsi.
    So war es schon immer gewesen, auch in den anderen Häusern. Glory baute ihm immer irgendwo ein Versteck und legte einen Teil seiner Spielsachen hinein, seine Autos und Puzzles und Bücher und Farbstifte. Glory sagte ihm immer, auch wenn er nie mit anderen Kindern spielte, würde er einmal klüger sein als sie alle zusammen. »Du liest besser als die meisten Siebenjährigen, Matty«, sagte sie ihm. »Du bist ein richtig schlaues Kerlchen. Und warum? Weil du mich hast. Du hast großes Glück gehabt.«
    Am Anfang hatte er sich überhaupt nicht glücklich gefühlt. Immer wieder träumte er, dass er sich mit Mommy in einen warmen, flauschigen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher