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Ich folge deinem Schatten

Ich folge deinem Schatten

Titel: Ich folge deinem Schatten
Autoren: Mary Higgins Clark
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beten, dass sie tut, was das Gewissen ihr befiehlt. Sie muss versuchen, den Mord zu verhindern.
    Er öffnete die Tür. In der Säulenvorhalle entzündeten zwei Gläubige Kerzen vor der Statue des heiligen Judas Thaddäus. Ein Mann, das Gesicht zwischen den Händen vergraben, kniete auf dem Betschemel vor dem Schrein des heiligen Antonius. Pater Aiden zögerte und erwog, den Besucher zu fragen, ob er ihm die Beichte abnehmen solle. Aber die Beichtstunde war längst vorüber und vielleicht erflehte der Besucher nur einen Gefallen oder sprach ein Dankgebet, weil ihm einer gewährt worden war. Der Schrein des heiligen Antonius zog viele Menschen an.
    Pater Aiden durchquerte die Säulenvorhalle zu der Tür, die in den Gang zum Mönchskloster führte. Er spürte nicht den durchdringenden Blick des Mannes, der nun nicht mehr in sein Gebet versunken war, sondern sich umgedreht und die Sonnenbrille hochgeschoben hatte, ihn eindringlich ansah und sich den weißen Haarkranz und den schlurfenden Gang des Mönchs einprägte.
    Kaum eine Minute war sie bei ihm gewesen, dachte der Beobachter. Was hat sie dem Alten alles erzählt? Kann ich darauf vertrauen, dass sie ihm nicht ihr Herz ausgeschüttet hat? Er hörte, wie die Eingangstür der Kirche geöffnet wurde und sich Schritte näherten. Schnell setzte er die Sonnenbrille auf und zog sich den Kragen seines Trenchcoats hoch. Er hatte sich bereits den an der Tür angebrachten Namen des Paters notiert.
    Was soll ich mit dir bloß machen, Pater O’Brien?, fragte er sich wütend, während er sich an den gut zehn Besuchern vorbeischob, die die Kirche betraten.
    Im Moment hatte er darauf keine Antwort.
    Was er nicht wusste, war, dass er, der Beobachter, selbst beobachtet wurde. Die sechsundsechzigjährige Alvirah Meehan, die früher als Putzfrau gearbeitet hatte, mittlerweile als Kolumnistin und Gesellschaftsautorin erfolgreich war und außerdem vierzig Millionen Dollar in der New Yorker Lotterie gewonnen hatte, war ebenfalls anwesend. Sie war am Herald Square beim Einkaufen gewesen, und auf ihrem Heimweg zur Central Park South war sie die wenigen Straßenzüge hierhergekommen, um vor dem Schrein des heiligen Antonius eine Kerze anzuzünden und eine Spende für die Unterstützung Bedürftiger abzugeben, nachdem sie vor kurzem einen unerwarteten Honorarscheck für ihre Memoiren Vom Putzeimer zur Prominenz erhalten hatte.
    Sie hatte gelobt, zur Grotte der Heiligen Jungfrau Maria von Lourdes zu pilgern, als ihr der scheinbar tief im Gebet versunkene Mann vor dem Schrein auffiel. Kurz darauf erblickte sie Pater Aiden, ihren alten Freund, der den Versöhnungsraum verließ. Sie wollte schon zu ihm und ihn begrüßen, zu ihrem Erstaunen aber richtete sich in diesem Augenblick der Mann plötzlich auf und schob sich die Sonnenbrille aus dem Gesicht. Kein Zweifel, er beobachtete Pater Aiden, der zur Tür des Klosters ging.
    Nein, dieser Mann wollte Pater Aiden nicht fragen, ob er bei ihm beichten könne. Er wollte den Pater in Augenschein nehmen, dachte sie sich und sah, wie der Fremde die Sonnenbrille wieder aufsetzte und den Kragen seines Mantels hochstellte. Sie hatte ihre Brille abgenommen, weshalb sie ihn nicht genau erkennen konnte, aber sie schätzte ihn auf ungefähr einen Meter achtzig. Das im Schatten liegende Gesicht war eher hager als feist, und als sie vor der Statue an ihm vorbeigegangen war, hatte sie bemerkt, dass er volles schwarzes Haar hatte ohne graue Strähnen. Das Gesicht hatte er in den Händen vergraben.
    Wer weiß schon, was in den Leuten so vorgeht?, fragte sich Alvirah und sah dem Fremden hinterher, der nun in Richtung der nächstgelegenen Tür davoneilte. Eines jedenfalls kann ich mit Bestimmtheit sagen, dachte sie. Dieser Mann hatte dem heiligen Antonius nicht mehr viel zu sagen, nachdem Pater Aiden den Versöhnungsraum verlassen hat.

2
    Es war der 22. März. Wenn er noch am Leben ist, dann wird Matthew heute fünf Jahre alt, ging es Zan Moreland durch den Kopf, als sie die Augen aufschlug, minutenlang reglos dalag und sich die Tränen wegwischte, die im Schlaf oft ihre Wangen und das Kopfkissen benetzten. Sie sah zur Uhr auf der Ankleide. Es war 7.15 Uhr. Sie hatte fast acht Stunden geschlafen. Was daran lag, dass sie vor dem Zubettgehen eine Schlaftablette genommen hatte. Das gestattete sie sich nur selten. Aber wegen des anstehenden Geburtstags hatte sie fast die ganze zurückliegende Woche keinen Schlaf finden können.
    Langsam erinnerte sie sich an Bruchstücke
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