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Ich & Emma

Ich & Emma

Titel: Ich & Emma
Autoren: Elizabeth Flock
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aus wie verbranntes Holz im Kamin. Wenn es sauber ist, ähnelt Emmas Haar einem Wattebausch: weiß, weiß, weiß. Aber normalerweise ist es so schmutzig, dass es aussieht wie die verstaubten alten Briefe, die Mama in einem Schuhkarton in ihrem Schrank aufbewahrt.
    Richard. Also das ist ein Typ, der mich an niemanden aus den Gutenachtgeschichten erinnert. Mama sagt, dass er und mein Daddy so unterschiedlich sind wie Feuer und Wasser, und ich glaube ihr. Ich meine, man muss schon sehr nett sein, wenn die Leute Schlange stehen, um einem einen Teppich abzukaufen, so wie meinem Vater. Das hat Mama erzählt. Richard ist nicht halb so nett. Ich habe Mama mal gesagt, dass Richard eher
unnett
wäre, aber sie fand das nicht lustig und schickte mich auf mein Zimmer. Ein paar Tage später, als Richard mal wieder auf Mama herumhackte, schrie sie, dass niemand ihn leiden könne und seine eigene Stieftochter ihn “unnett” nenne. Als sie das sagte, stand ich nur da und lauschte auf das Ticken der Plastikuhr, die die Form eines Gänseblümchens hat und an der Küchenwand hängt, weil ich wusste, dass es zu spät zum Weglaufen war.
    Mama sagt, unser Daddy war der beste Teppichverkäufer im Staate North Carolina. Er muss Tonnen von Teppichen verkauft haben, denn für uns war keiner mehr übrig. Wir hatten harten Linoleumboden. Nachdem er gestorben war, erlaubte mir Mama, das grasgrüne Musterstück zu behalten, das sie auf dem Rücksitz seines Wagens fand, als sie ihn sauber machte, bevor Mr. Dingle ihn abholte. Das Musterstück war wohl von der großen Pappe gefallen, auf die ganz viele weitere Teppichstücke in verschiedenen Farben geklebt waren, damit die Leute schauen konnten, was am besten zu ihnen passte. Ich bewahre es in der Schublade des weißen Korbnachtschränkchens neben meinem Bett auf, und zwar in einer Zigarrenkiste, auf der ganz viele Bildchen von altmodischen Koffern, Briefmarken und Flugzeugen kleben. Manchmal, wenn ich gründlich an dem Musterstück schnüffle, ist da immer noch der Geruch nach neuem Teppich, der Daddy immer wie ein Schatten verfolgt hatte.
    Zurück zu mir und Emma. Unsere Haarfarbe ist unterschiedlich, aber noch unterschiedlicher ist unsere Hautfarbe. Wie Schokolade und Vanille. Bei Emma ist es, als hätte sie jemand gemalt und mitten drin aufgehört, damit jemand anders die Farben hinzufügen kann. Und bei mir? Nun, Miss Mary aus dem White’s Drugstore legt immer den Kopf schief, wenn sie mich sieht, und sagt: “Du siehst müde aus, Kind”. Doch das bin ich nicht – das liegt nur an den Schatten unter meinen Augen.
    Ich bin acht – zwei Jahre älter als Emma, aber weil ich so klein bin, denken die Leute bestimmt, wir wären zweieiige Zwillinge. Und genauso kommen wir uns auch vor. Ich wünschte, ich wäre mehr wie Emma. Ich kreische, wenn ich eine Zikade sehe, aber Emma macht das nichts aus. Sie nimmt sie einfach hoch und wirft sie raus. Und sie wird von den anderen Kindern niemals gehänselt. Einmal hat Tommy Bucksmith ihr den Arm auf dem Rücken verdreht und lange festgehalten (“Bis du sagst, ich bin der Größte im ganzen Universum”, sagte er und lachte, während er ihren Arm höher und höher drückte), aber sie gab keinen Mucks von sich. Emma hat vor nichts Angst. Außer wenn Richard auf Mama losgeht. Dann gehen wir beide sofort hinter die Couch. Hinter die Couch, das ist wie ein anderes Zimmer für mich und Emma. Dort ist unsere Festung. Jedenfalls steuern wir immer darauf zu, wenn das Fußpedal von dem Metallmülleimer in der Küche zehnmal gequietscht hat. Die Flaschen scheppern so laut, dass ich immer das Gefühl habe, mein Kopf spaltet sich in zwei Teile.
    Richard beginnt ungefähr nach dem zehnten Quietschen an Mama rumzumeckern. Ich weiß nicht, warum sie ihm ab dem achten Quietschen nicht einfach aus dem Weg geht, aber sie tut’s nicht. Ich und Emma haben uns etwas angewöhnt, was wir Bodenpolieren nennen. Wenn wir Quietschen Nummer acht hören, beginnen wir ganz langsam auf dem Hintern vom Fernseher Richtung Couch zu rutschen. Bei der Lautstärke des Fernsehers kann man uns nicht hören, und Richard konzentriert sich so sehr auf Mama, dass er gar nicht bemerkt, wie wir uns Stück für Stück zur Couch bewegen. Beim neunten Quietschen sind wir nur noch Zentimeter entfernt, und kurz vor dem Zehnten schlüpfen wir zwischen die kühle Farbe an der Wand und den kratzigen braunen Bezug der Couch. Zuerst fanden wir, dass es hinter der Couch stinkt, aber jetzt bemerken wir das
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