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Ich darf nicht vergessen

Ich darf nicht vergessen

Titel: Ich darf nicht vergessen
Autoren: Alice LaPlante
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Mahlzeit kann die beste Mahlzeit Ihres Lebens werden! Jeder Film der aufregendste, den Sie je gesehen haben! Nehmen Sie es mit Humor, sagt er. Sie sind ein Besucher von einem anderen Planeten, der die Sitten und Gebräuche hier vor Ort studiert.
    Aber was ist mit denen unter uns, für die die Wände näher rücken? Die jede Art von Veränderung schon immer in Angst und Schrecken versetzt hat? Mit dreizehn habe ich einmal eine ganze Woche lang nichts gegessen, weil meine Mutter neue Laken für mein Bett gekauft hatte. Für uns Alzheimerkranke ist das Leben neuerdings furchtbar beängstigend. Überall lauern Gefahren. Deswegen nicken wir all den aufdringlichen Fremden freundlich zu. Wir lachen, wenn andere lachen, blicken ernst drein, wenn die anderen es tun. Wenn die Leute fragen: Erinnern Sie sich?, nicken wir noch einmal. Oder wir runzeln zunächst die Stirn und tun dann so, als würde es uns wieder einfallen.
    All das ist überlebensnotwendig. Ich bin ein Besucher von einem anderen Planeten, und die Eingeborenen sind nicht freundlich.
    I ch öffne meine Post selbst. Dann verschwindet sie. Wird weggeräumt. Heute, Aufrufe zur Unterstützung bei der Rettung der Wale, der Pandas, bei der Befreiung Tibets.
    Meinem Kontoauszug entnehme ich, dass ich auf einem Konto bei der Bank of America ein Guthaben von 3567,89Dollar habe. Ein anderer Kontoauszug kommt von einem Börsenmakler namens Michael Brownstein. Mein Name steht darauf. Mein Vermögen ist in den letzten sechs Monaten um 19Prozent geschrumpft. Es sind nur noch 2,56 Millionen Dollar übrig. Der Börsenmakler schreibt: Aufgrund Ihrer konservativen Anlagestrategie und der breiten Streuung Ihres Aktienvermögens ist es nicht so schlimm, wie es sein könnte.
    Sind 2,56 Millionen Dollar viel Geld? Reicht der Betrag aus? Ich starre auf die Buchstaben, bis sie vor meinen Augen verschwimmen. AAPL , IBM , CVR , ASF , SFR . Die Geheimsprache des Geldes.
    J ames ist raffiniert. James hat Geheimnisse. In einige bin ich eingeweiht, aber in die meisten nicht. Wo ist er heute? Die Kinder sind in der Schule. Das Haus ist leer, bis auf eine Frau, die eine Art Haushälterin zu sein scheint. Sie ordnet die Bücher im Arbeitszimmer und summt eine Melodie vor sich hin, die ich nicht kenne. Hat James sie eingestellt? Wahrscheinlich. Irgendjemand scheint hier regelmäßig aufzuräumen, denn im Haus ist alles sauber und ordentlich, dabei habe ich Hausarbeit noch nie ausstehen können, und James ist zwar ein Ordnungsfanatiker, aber er hat keine Zeit dafür. Er ist immer unterwegs. In geheimer Mission. So wie jetzt. Amanda gefällt das nicht. Eine Ehe sollte transparent sein, sagt sie. Sie muss auch im hellen Tageslicht Bestand haben. Aber James ist ein schattenhafter Mann. Er agiert gern im Verborgenen, er blüht im Dunkeln auf. James hat es mir vor vielen Jahren erklärt, er hatte die perfekte Metapher parat. Das heißt, er hat sich auf die Natur berufen. Und obwohl mir allzu saubere Kategorisierungen stets suspekt sind, klang seine Erklärung überzeugend. Es war an einem heißen, schwülen Sommertag in der Nähe von James’ Elternhaus in North Carolina. Wir waren noch nicht verheiratet. Wir hatten nach dem Abendessen einen Spaziergang in der Abenddämmerung gemacht, und noch ehe wir zweihundert Meter gegangen waren, befanden wir uns tief in einem Urwald. Die Bäume hingen voller weißer Flechten, und der Boden war von einem weichen Laubteppich bedeckt. Farnwedel entrollten sich im Gestrüpp, und hier und da leuchtete ein Pilz. James zeigte auf einen. Giftig, sagte er. Im selben Augenblick schrie ein Vogel. Ansonsten herrschte Stille. Ich konnte keinen Weg ausmachen, aber James ging unbeirrt weiter, und wundersamerweise öffnete sich das Dickicht vor uns. Wir waren vielleicht ein paar hundert Meter gegangen, um uns herum wurde es immer düsterer, als James plötzlich stehen blieb. Er zeigte auf etwas. Am Fuß eines Baumstamms, mitten in einem gelbgrünen Mooskissen, schimmerte etwas Weißes. Eine Blume. Eine einzelne Blüte an einem langen, weißen Stiel. James atmete tief aus. Wir haben Glück, sagte er. Manchmal sucht man tagelang und findet trotzdem keine.
    Was ist das?, fragte ich. Die Blume leuchtete, und zwar so stark, dass mehrere kleine Insekten sie umkreisten, als würden sie von dem Licht angezogen.
    Ein Fichtenspargel, sagte James. Monotropa uniflora. Er bückte sich
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