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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten
Autoren: Anouk Markovits
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niedergetrampelten Zaun.
    Die Bauern aus den Nachbardörfern bauten gerade ihre Marktstände ab und luden die Einzelteile auf Karren. Einer von ihnen erzählte immer wieder, wie die Milizionäre den flüchtenden Juden ausgepeitscht hatten und dieser einen wunderlichen Schrei von sich gab. Eine Flasche machte die Runde. Sie rülpsten und prosteten sich zu, auf dass das Land bald von Juden gesäubert sei.
    Sie hatten den Vater des Mädchens an einen Pfosten auf dem Marktplatz gefesselt. Seine Schultern hingen nach vorne, den Kopf hielt er tief gesenkt. Schweiß zog seinen Bart und die Schläfenlocken in die Länge. Arme, Beine und Schienbeine waren von Schnittwunden übersät – man konnte nicht hinsehen, und man konnte nicht wegsehen. Dort, wo sich die Beine trafen, quoll frisches Blut aus einer tiefen Fleischwunde.
    Drei Männer in der Uniform der Pfeilkreuzler hielten Wache, ihre schwarzen Stiefel trampelten durch das aufgewühlte blutrote Sägemehl.
    Da hörten Anghel und das kleine Mädchen, die sich in eine Nische gedrückt hatten, ein Stöhnen: »Wasser …«
    Das Mädchen rannte zur Dorfpumpe und wölbte die Hände.
    Anghel zog sie zurück und drückte ihr Gesicht gegen seine Brust.
    »Tatta …«, stammelte das Mädchen, und das Wasser lief ihr durch die Finger.
    Als die letzten Milizionäre in einer Kneipe verschwunden waren, überquerten die beiden Kinder den Platz. Das Mädchen hielt dem Vater die gewölbten Hände an die Lippen. »Tatta …«
    Stöhnend leckte die zusammengesunkene Gestalt das Wasser von ihren Fingern. Blut floss aus dem Mund des Mannes, dann Worte: » Mi-la, du heißt jetzt Mila. Geh zu Zalman Stern …«
    Noch ein Blutschwall, noch mehr Worte: »Unter meinesgleichen. Sorge dafür, dass Gershon Heller unter seinesgleichen beerdigt wird.«
    »Das werde ich«, flüsterte der Junge, und seine Hand drückte den Mund des Mädchens an seine Brust, an sein grobes Leinenhemd, damit niemand ihr Wimmern hörte.
    Die Kneipentür ging auf. Anghel zog das Mädchen weg von der Peitsche und den Wunden zu seiner Höhle im Wäldchen. Dort hörten sie Florina über die Felder rufen:
    »Anghel! Anghel!« Und noch einmal. »Anghel!«
    Als alle Lichter im Dorf ausgegangen waren, kehrten die beiden Kinder auf den Marktplatz zurück. Die Leiche war vom Pfosten losgebunden worden und lag quer über der Wanne einer Schubkarre. Der Junge umfasste die Griffe und zog, hinter ihm lehnte sich das kleine Mädchen gegen den Rand der Schubkarre und schob.
    Unter den Pappeln am Grunde des Wiesenhangs lockerte der Junge mit einer Schaufel den Boden. Das kleine Mädchen hob die Erde mit nackten Händen aus. Gemeinsam zogen und zerrten sie den Toten in das flache Grab. Der Junge häufte Erde über ihn, das Mädchen half mit. »Später sorge ich dafür, dass er auf dem jüdischen Friedhof beerdigt wird«, sagte der Junge, als sie fertig waren.
    Das Mädchen nickte. »Tatta hat gesagt, wenn irgendetwas passiert, soll ich zu Zalman Stern in Nagyszeben gehen. Und wenn ich es nicht schaffe, auf einen Zug zu kommen, soll ich von der Grenze weglaufen. Tatta hat gesagt, ich muss weit weglaufen.«
    »Ich helfe dir, auf einen Zug zu kommen. Hab keine Angst, in der Kurve fahren alle Züge langsam. Dort springe ich auf, und du wartest hier. Wenn ich vorbeikomme, musst du nur meine Hand packen. Hab keine Angst. Ich ziehe dich ganz schnell hoch. Schau einfach nur meine Hand an. Wenn der Schaffner kommt, sagst du, du hättest deine Fahrkarte verloren. Nein, du sagst, deine Eltern seien im nächsten Wagen. Sag es auf Ungarisch, sprich nicht die Sprache der Juden. Wenn der Schaffner ›Sibiu!‹ ruft, musst du aussteigen.«
    Der Junge klopfte den Dreck von ihrem Mantel. Er band ihr die Haarschleife neu.
    »Mila«, sagte sie und deutete auf ihre Brust.
    »Anghel«, erwiderte er und deutete auf seine Brust.
    »Wo ist deine Mutter?«, fragte Mila.
    »Florina …«
    »Deine Mutter. Wo ist sie?«
    »Mama ist tot. Tatta ist tot. Pearela ist tot.«
    »Schefele.« Mila streichelte Anghel über die Wange, und er erinnerte sich, dass das Wort Schäfchen bedeutete.

Sibiu, Südliches Siebenbürgen
    Den Sternkindern war streng untersagt, die Haustür zu öffnen, deshalb rannte die vierjährige Atara in die Küche zu ihrer Mutter, als sie das Klopfen hörte.
    Vor der Tür stand ein kleines Mädchen in zerrissenem Mantel und mit einer schmutzigen Schleife im Haar.
    Hannah musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. »Mila Heller? Die Tochter von Gershon
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