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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten
Autoren: Anouk Markovits
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Zweck Du Hannah, unsere Kinder und das kleine Mädchen, Blimela, die Tochter von Gershon und Rachel Heller, verschont hast.«
    Auch nach seiner Hochzeit hatte Zalman am Hof des Rebbe in Szatmár bleiben wollen, doch als Siebenbürgen im August 1940 zwischen Ungarn und Rumänien aufgeteilt wurde, hatten seine Eltern darauf bestanden, dass er ins heimatliche Sibiu zurückkehrte, das südlich der neuen Grenze lag. So kam es, dass er nicht mit seinen Jeschiwa-Freunden aus Szatmár deportiert worden war. Zalman konnte mit seiner Gemeinde in Sibiu bleiben.
    *
    Anghel beobachtete den Juden am Rand der Eisfläche. Er warf ein Netz in den Fluss und debattierte mit sich selbst: »Sanhedrin 97b. Auch 98a … Werden die Toten nackt oder bekleidet wiederauferstehen?«
    »Und was steht bei Jesaja 26, 19? Und bei Hesekiel 37, 12–14?«
    Der Jude streckte die Arme aus, bückte sich und zog mit aller Kraft an einer Schnur, die voller Algen hing. Immer näher zog er das Netz mit den Leichen der beiden Schwestern, die von der Deportation zurückgekehrt waren, nur um von den Nachbarn ertränkt zu werden. Erst legte er die eine Tote auf den Pferdekarren, dann die andere. Das Netz mit den bleiverstärkten Rändern schleifte durch die abgebrochenen Schilfrohre. Der Jude hielt sich am Rand des Karrens fest, und die Hufeisen des Pferdes schlugen hart auf den gefrorenen Boden.
    Anghel hatte sich im Gestrüpp versteckt. Geduckt folgte er dem Juden, der hinter dem schweren Zugpferd am Ufer des Nadăs entlangging. Der Mann debattierte wieder laut mit sich selbst:
    »Und Zalman? Was geschieht mit denen, die nie in ein Grab kamen, deren Gebeine von den Wölfen abgeleckt wurden?
    Sie werden nicht auferstehen.
    Und wie heißt es in Kethuboth 35b?
    Genau, in diesem Punkt sind sich unsere Rabbiner nicht einig.«
    Anghel schob sich durchs Gebüsch und trat auf den Treidelpfad hinaus. Er stellte sich vor Zalman und deutete auf die Pappelreihe. »Dort. Noch ein toter Jude.«
    Zalmans Blick folgte dem Finger, der auf hartgefrorene Bodenklumpen zeigte.
    »Ja, dort.«
    »Woher willst du wissen, dass dort ein Jude liegt?«, fragte Zalman.
    Der Junge deutete auf Zalmans Mantel.
    »Jeder kann einen schwarzen Mantel tragen.«
    Der Junge legte die Stirn in Falten.
    »Du willst wohl sagen, wer außer einem Juden will einen solchen Mantel tragen?«
    Der Junge klopfte sich an die Stirn. »Er hatte so einen schwarzen Würfel.«
    »Tefillin!«
    »›Unter meinesgleichen‹, hat er gesagt. ›Sorge dafür, dass Gershon Heller unter seinesgleichen begraben wird.‹«
    Zalman war fassungslos. »Gershon Heller. Heller aus Cluj?«
    Der Junge zuckte mit den Schultern. Er deutete über den Fluss. »Sie sind von drüben gekommen, aber die Frau ist zum Zug hingerannt.«
    »Zum Zug?«
    »Sie hatte jemanden erkannt.«
    »Wann?«
    »Letztes Frühjahr.«
    »In einem Viehwaggon?«
    »Die Türen standen offen.«
    »Wie ist das möglich?«
    Wieder zog der Junge die Schultern hoch.
    Zalman schaute auf das umgebrochene Bodenstück. »Wenn dort ein Jude liegt …« Er blickte den Bauernjungen an. »Und der Jude hat wirklich gesagt: ›Sorge dafür, dass Gershon Heller unter seinesgleichen begraben wird‹? Hat er genau das gesagt? Denn wenn er nicht ausdrücklich darum gebeten hat, ist es eine fürchterliche Sünde, einen Toten auszugraben.«
    »Unter seinesgleichen. Sorge dafür, dass Gershon Heller unter seinesgleichen begraben wird.«
    Zalman nahm die Schaufel aus dem Wagen und begann zu graben. Wieder debattierte er mit sich selbst. Natürlich hatte Gershon Heller darum gebeten, natürlich wollte Gershon Heller dort begraben sein, wo er die Trompete hören konnte. »Wenn die Toten auferstehen, werden die in jüdischem Boden Begrabenen … Es ist gut und richtig, was du da tust …« Zalman blickte auf. »Wie heißt du?«
    Der Junge war verschwunden.
    Wieder schlugen die Hufeisen des Pferdes auf dem harten Boden auf, als es den Karren ein weiteres Mal den Hügel hoch zum Jüdischen Friedhof zog.
    Zalman stand am offenen Grab und riss sich den Mantel auf der rechten Seite ein, denn über seinem Herzen war er bereits zerrissen. Er begann zu beten: » El malej rachamim, Gott voller Erbarmen …«
    Anghel stand im Birkenhain oberhalb des Friedhofs im Schneegestöber und beobachtete die Gestalt des Juden, dann kletterte er weiter zu seiner Höhle, in deren Enge er sich besonders sicher fühlte. Hier waren Erinnerungen nicht verboten. Er rollte sich zusammen und lauschte den Geräuschen
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